MASTER
NEGA TIVE
NO. 93-81477
MICROFILMED 1993
COLUMBIA UNIVERSITY LIBRARIES/NEW YORK
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AUTHOR:
SOHR, MAXIMILIAN
TITLE:
TRENDELENBURG UND
DIE DIALECHTISCHE...
PLACE:
HALLE
DA TE :
1874
COLUMBIA UNIVERSITY LIBRARIES
PRESERVATION DEPARTMENT
BIBLIOGRAPHIC MTCROFORM TARCFT
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1898
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TRENDELENBURCt
UND DIE
DIALECTISCHE METHODE HEGELS.
EIN KRITISCHER VERSUCH,
VERFASST UND BEHUFS
ERLANGUNG DER PHILOSOPHISCHEN DOCTORWÜROE
3IIT GENEHMIGUNG
DER HOHEN PHILOSOPHISCHEN FACULTÄT
DER KÖNIGLICHEN UNIVERSITÄT HALLE -WITTENBERG
am 23. December 1874 11 Uhr früh
IN DER AULA DER UNIVERSITÄT
GEGEN DIE HERREN:
J. Y. KARWOWSKI, DR. MED.
R. BRAXATOR, dr. phil.,
Gymnasiallehrer in Kattowitz.
R. MISCHER, CAND. MATH.
B. PÜDZMENSKY, stud. phil.
VON
MAXIMILIAN SOHR.
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HALLE A.D.SAALE.
DRUCK VON J. P. STARCKE IN BERLIN.
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ANDENKEN MEINES VATERS.
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aim^isfenL '.«Ö^^s in der Jetztzeit die Bedingungen für systembil-
dende pliilösophische Thätigkeit nicht vorhanden sind, hatHaym')
nachgev/iese'pvV'P'ie Tnatsaphe, dass kein neues System seit Hegel
erstanden ist , und die Versuche systematischen Philosophirens
nicht Epoche gemacht haben, bestätigt es. — Einzelne Aeusse-
rungen Trendelenburg's charakterisiren nun Absicht und Methode
der historischen Philosophie. Sie ist zufrieden, wenn mir Philo-
sophisches gewonnen wird, nicht Philosophie als wissenschaft-
liche Totalität (Log. Unters. I. 3); sie begnügt sich nicht mit dem
Kampf gegen Thatsachen, die sich dem Gedanken nicht ergeben
wollen^ sondern nimmt auch den gegen Meinungen, die sich ent-
gegenstellen, auf (Einl. VIII.) ; sie strebt nicht nach individueller
Eigenart und falscher Originalität, nicht nach einem neu formu-
lirten Princip^ sondern ergiebt sich der tieferen Untersuchung der
Grundhegriffe und folgt der geschichtlichen Entwickelung der
grossen Gedanken in der Menschheit (ebenda IX— X.), immer
freilich auf eigenem Wege. Indessen würde es ein Irrthum sein
anzunehmen, dass die Philosophie dieser Richtung zum Funda-
ment ihres Philosophirens schlechtweg nur die aus einer absichts-
losen Kritik des Ueberkommenen erzielten Resultate verwende.
Weder ist dies Fundament das einzige, noch ist die Kritik, durch
die es gewonnen wird, eine rein objektive. Beides würde der
menschlichen Natur widersprechen , die nach Selbständigkeit und
Selbstthätigkeit, nach einem eigenen Wege ringt, und eine Welt-
Anschauung wäre eine contradictio in adjecto, wenn sie nur
aus den Abstraktionen philosophischer Vorgänger zusammenge-
borgt wäre. Jedes Individuum hat gewisse ihm eigenthümliche
Anschauungen, Meinungen und Principien ; wer kann sagen, woher
sie in ihrer Subjektivität stammen ? Aber sie sind so fest mit
der Persönlichkeit verwachsen, dass man sie nur mit dieser selbst
auslöschen kann. Eben sie bringt der Kritiker trotz besten Wil-
lens objektiv zu sein an seine Kritik mit heran, und letztere steht
unter ihrem Einfluss; sie mischt er bald unvermerkt, bald ab-
sichtlich unter sein philosophisches Material, welches ihm die
*) Haym, Hegel und seiae Zeit. S. 356.
— 3 —
Kritik der Vorgänger und Gegner geliefert hat; solche Selbst-
thätigkeit durchdringt sein ganzes Philosophiren, wie dieses jene;
es ist eine unausgesetzte Wechselwirkung, der wir schliesslich das
gewonnene Philosophische verdanken; es ist nicht blos gebessert,
sondern geändert, nicht nur untersucht, sondern geschaffen, nicht
nur kritisch, sondern positiv philosophirt worden.
Hiermit ergiebt sich ein doppelter Gesichtspunkt, von dem.
aus ein Werk jener historischen Richtung betrachtet, von dem
aus namentlich eine Untersuchung seines kritischen Verfahrens
angestellt werden kann. Macht man das Positive des Verfassers
zur Hauptsache, so ergiebt sich die Frage, wie es sich mit den
gegentheiligen Absichten der kritisirten Forscher abgefunden habe,
und ob es im Verhältniss zu ihnen und an sich zu Recht besteht.
Geht man von dem kritisirten System aus, so bieten sich dessen
Hauptpunkte, namentlich die zumeist angegriffenen, als natürliches
Eintheilungsschema für die Betrachtung. Allein eine solche Tren-
nung der Erörterungskreise hat ihre Nachtheile ; vor Allem zwingt
sie zu Wiederholungen. Theilen wir z. B. unsere Aufgabe nach
Trendelenburg's ^ ) Hauptprincipien : Anschauung, Bewegung und
Zweck und erörtern dieselben erst im Bereich des 7^einen Den-
kens, dann der Negation, der Identität, des immanenten Zusam-
menhangs u. s. f., so gewinnt das Ganze allerdings den Anblick
eines sehr regelmässigen Baues mit so und so viel Stockwerken
zu so und so viel Zimmern. Aber in diesem Bau wiederholen
sich die Verhältnisse und Einzelnheiten von unten bis oben. Es
scheint daher zweckmässig beide Schemata zu verbinden, die
Haupteinwände Trendelenburg's und die Hauptangriffsobjekte der-
selben bei Hegel, jeden für sich zu betrachten, wo sich dann die
Wiederholungen auf ein möglichst geringes Maass einschränken
lassen. Aus der Untersuchung selbst wird es sich rechtfertigen,
warum ein Hegelsches Element, das reine Denken, den Anfang
macht, zwei Trendelenburgsche folgen, nämlich Bewegung und
* ) Der vorliegende Versuch bezieht sich nur auf die Logischen
Untersuchungen, da sich Die logische Frage in Hegel's Sy-
stem auf die Abwehr der Antikritiken der Hegelianer beschränkt.
1*
^ 4 —
Anschauung, dann wieder mit Negation, Identität u. s. w. Hegel
zur Norm wird, bis das Ganze mit dem Hegel-Trendelenburgschen
Zweck seinen Abschluss findet.
Tom reinen Denken.
Es giebt, sagt Trendelenburg (log. Unt. II. 490) , für uns
Menschen kein reines Denken; denn wie eine Seele ohne Leih,
hätte es ohne Anschauung kein Lehen, sondern nur ein geister-
ha/tes, gespenstisches Dasein.
Der Ausdruck reines Benken stammt aus der Hegeischen
Terminologie. Was hat er zu bedeuten? Ein sich wirklich von
der Anschauung lossagendes Denken? Oder hat Trendelenburg,
wie die Hegelianer ihm vorwerfen, dem Hegeischen Ausdrucke
einen unhegelschen Sinn untergeschoben. Und ist es wahr, dass
sich das Benken seihst tödtet, wenn es sich von der Anschauung
lossagt? Was die letzte Frage betrifft, so ist nach Trendelenburg
Anschauung und Denken unzertrennlich. Aber doch verschieden,
doch zweierlei?— Wenn das, so fragt es sich: wo ist die Grenze
zwischen ihnen?
Die formale Logik antwortet hierauf; nach ihr bildet sich durch
die Wiederholung der Anschauung zunächst die Vorstellung; sie
ist innere, d.h. nicht von aussen, sondern durch die Erinnerung
(eine dem Denken heterogene Thätigkeit des Geistes) vermittelte
Anschauung, bei der die Denkthätigkeit weder aktiv noch passiv
betheiligt ist;^) denn auch der Denkunfähige (das unmündige
Kind; Blödsinnige; Thiere) hat Vorstellungen. Der Begriff erst,
aus der Vorstellung auf eigenthümlichem Wege erwachsend, ist
5) Die Theilung der Vorstellungen in Wahrnehmungs vor Stel-
lungen und Vorstellungen des Denkens bei v. Kirchmann, Philos.
Biblioth. I. 11 ist nicht zu billigen, so lange nicht dargethan ist, welcher
Unterschied zwischen letzteren und den Begriffen obwaltet. In der That
sucht man bei K. diesen Unterschied vergebens; dass aber der Begriff
nicht vorstellbar, mithin nicht Vorstellung ist, wird unten zur Sprache
kommeu.
— 5 —
das Characteristicum der normalen Denkthätigkeit. Dieser aber
entsteht aus den Vorstellungen durch Zergliedern derselben und
durch Zusammenfassen der ihnen geraeinsamen Merkmale; es ist
also das Denken ein Ordnen') der Vorstellungen, oder, inwie-
weit man die Vorstellungen als der Wirklichkeit entsprechend an-
sieht, ein Ordnen des gegebenen Realen. Das Ordnen kann sich
nun allerdings nicht bethätigen ohne ein zu Ordnendes; es liegt
in dem Worte selbst" der Begriff eines Verhältnisses, einer Be-
ziehung, zu der der andere Theil fehlen würde, wenn man die Be-
griffe, als die Resultate der Anschauung, beseitigt.
Allein die Beobachtung lehrt, dass nicht einmal die Resul-
tate dieser ordnenden Thätigkeit vorgestellt werden können. Der
Begriff bereits ist schlechthin nichts Vorstellbares. ^) Man ver-
suche nur sich den Begriff Pferd vorzustellen, d. h. ohne Alter,
Farbe und Geschlecht etc. daran zu bestimmen, wie dies der Be-
griff erheischt ; es ist unmöglich : wir können uns nur entweder
eine Stute oder einen Hengst, einen Schimmel oder Fuchs oder
Rappen u. s. w. vorstellen; wir können den Begriff des Pferdes
mit mehr oder weniger Genauigkeit zergliedern, seine Merkmale
aufzählen u. s. w. Aber sie in eine Vorstellung zu vereinigen ist
«) In diesem Sinne nennt Ulrici, System d. Logik S. 10 ff. als specifi-
sches Kennzeichen des Denkens das Unterscheiden. Auch das Allge-
meine, welches Hegel, Encycl. §. 20, und Erdmann, Grundr. d. Log. §. 5,
als Produkt des Denkens bezeichnen, kann nur durch ein Ordnen gewon-
nen werden ; es ist die Quintessenz der aristotelischen Topik. Nicht minder
ist Haym's (Hegel u. s. Z. S. 314 vgl. S. 247) Jsolireu eine ordnende Thätigkeit.
(Man wird daher dem Satze Hegel's, Encycl. §. 22 Zus.: Dasjetiige, was
beim Nachdenken herauskömmt, ist ein Produkt unseres Denkens, nur SO weit
zustimmen können, dass die Verbindungs- oder Trennungsform des nicht
vom Denken producirteu Realen als ein Produkt des Denkens gelten darf.
Das Band ist neu , das Verbundene nicht. Deutlich ist dies in der §. 23
folgenden Erklärung nicht ausgesprochen.) Ferner nennt Hobbes, Leviath.
C. 5, Vernunft die Fähigkeit zu addiren und zu subtrahiren u. s. w. Vgl.
auch Plato, Phaedr. S. 249 B.
7) Hegel, Encycl. §. 24 Zus. 1; Die sinnliche Empfindung hat es
immer 7iur mit eitlem Einzelnen zu thun. Vgl. Erdm., Gr. d. Log. §. 192
Anm. 2. — ülrici, Syst. d. Log. S. 454.
— 6 —
- 7 —
unmöglich.') Und doch ist das Begriflfbilden die erste und
hauptsächlichste Thätigkeit des Denkens; und doch kann der Be-
griff ohne Hülfe des Denkens nicht zu Stande kommen, weil zwi-
schen Vorstellen und Denken kein weiteres vermittelndes Geistes-
vermögen mitten inne steht*/) und doch operirt das Denken und
(namentlich) die Sprache mit diesen geisterhaften, gespenstischen
Schatten, indem sie die Schatten der Schatten auffängt und vom
Abstrakten immer weiter abstrahirt.
Wenn man hiernach zugeben muss, dass der Begriff nicht
vorstellbar ist, geschweige denn anschaubar; und dass ferner das
Denken auf den Begriff angewiesen ist, so ergiebt sich, dass ent-
weder das Denken überhaupt unmöglich, oder aber das reine Den-
ken möglich ist, wenn man unter demselben nur das von der An-
schauung als solcher sich lossagende Denken versteht; wer daher
die Möglichkeit des Denkens überhaupt nicht leugnen will, muss
zugeben, dass das Denken ohne Anschauung als solche (nicht als
Mutter der Vorstellung) möglich ist, und dass also Hegel, wenn
die Unmöglichkeit seines reinen Denkens zu Recht bestehen soll,
darunter das anschauungslose nicht gemeint haben kann.
Aus dem ersten Satze ergiebt sich , dass die Kluft zwischen
Sein und Denken erst mitten im' Wesen des Begriffs, mitten im
Verlauf seiner Bildung sich aufthut, dass von hier an erst der
problematische Charakter des Denkens überhaupt datirt. Zwar, auf
welche Weise die Anschauung in uns entsteht, auf welche Weise
die Anschauungen in ihrer Wiederholung die Vorstellung erzeugen;
auch dies sind Probleme, die der Untersuchung über die Möglich-
keit alles Denkens vorausgehen müssten. Aber sie sind kein Pro-
blem der Logik oder Metaphysik. Und das Hauptproblem bleibt
immer die Frage: wie entsteht aus Vorstellbarem, d. h. (wenn
auch nur innerlich) Anschaubarem ein Nichtvorstellbares, welches
unsrer Natur mithin fremd ist, und mit welchem sie gleichwohl
®) Hegel, Eucycl. §. 3: Bei einem Begriffe ist nichts weiter zu denken
ah der Begriff seihst u. s. w.
8) weil mit Hegel's (Encycl. §. 1) Worten der denkende Geist nur durchs
Vorstellen hindurch und auf dasselbe gewendet zum denkenden Erkennen und
Begreifen fortgeht.
als m.it einem ihr selbst Commensurabeln und Congenuinen ope-
rirt? Diese Frage hat weder Hegel noch Trendelenburg beant-
wortet; sie haben sie nicht einmal aufgeworfen.
Der zweite der obengenannten Sätze führt auf die Frage, was
denn nun Hegel unter dem reinen Denken verstanden habe. Wenn
es auch für ihn, wie Trendelenburg rügt, kein Operiren mit An-
schaubarem ist. was ist es dann positiv? Wie entsteht und was
thut es? Und wie verhält es sich zu jenem Ordnen des Realen?
Der Begriff entsteht durch Zergliedern und Zusammenfassen,
d. h. durch Abstrahiren (dcpatpeiv = wegnehmen); wir nehmen
den Vorstellungen ihre Merkmale (Bestimmtheiten, wie Hegel sagt) *
weg, um irgend etwas Neues damit anzufangen. Es ist klar, dass
dieses Fortnehmen nur so lange fortgesetzt werden kann, als etwas
vorhanden ist, und dass Begriffe nur entstehen können, sobald als
Material dazu mindestens ein Merkmal vorhanden ist. Nun ist
diese Grenze der Möglichkeit des Abstrahirens entweder wirklich
vorhanden oder nicht. Ist sie nicht vorhanden, so bleibt das Den-
ken ewig die gleiche . Thätigkeit , die ins Unendliche abstrahirt,
mithin in ein reines und ein nichtreines schlechterdings nicht ge-
schieden werden kann; ist sie vorhanden, so nimmt das Denken
schliesslich einmal das letzte Merkmal des Begriffs weg, und dann
hört mit der Möglichkeit des weiteren Abstrahirens auch die des
weiteren Denkens auf,'") und es ist ein Widersinn, wenn das
Denken versucht, diese Grenzen zu überschreiten und jenseit der-
selben etwa als ein reines fortzuoperiren. Denn womit? Da die
Begriffe seine ausschliesslichen Objekte sind, und die Grenze der
Möglichkeit der Begriffsbildung verlassen ist, so entbehrt es der
Objekte, und eine Thätigkeit, die sich nicht bethätigen kann, ist
ein Unding.
In der That scheint Hegel unter reinem Denken ein solches
nicht (allein) auf die Anschauung, sondern (selbst) auf die Begriffe
verzichtendes Denken verstanden zu haben. Wie soll man we-
'") Vgl. was Ulrici (lieber Princip und Methode der Hegelschen
Philosophie S. 81) über das Ilegelsche ?^ichts und (S. 87) über das reine
Sein sagt.
— 8 —
nigstens anders verstehen die Sätze: Das reine Sein macht den
Anfang^ weil es ... . das unbestimmte einfache Unmittelbare
ist; dies Sein ist die reine Abstraktion — f ' ') Was ist denn
das reine, unbestimmte, einfache Unmittelbare ? Ist es ein Begriff?
Wenn nicht, was ist es sonst für ein Wesen, dass das Denken
mit ihm operiren soll und kann? Ist es aber ein Begriff, so ist
es ein solcher ohne jegliches Merkmal (Bestimmtheit) d. h. ein
unbegreiflicher Begriff, ein Unbegriff. * ^)
Indem so das reine Benken den natürlichen Stoff der Denk-
thätigkeit aufgiebt, muss es sich einen andern zu seiner Bethäti-
gung suchen; da d3LS frei für sich seiende Denken dem ursprüng-
lichen Charakter des Denkens als eines Ordnens untreu wird,
(denn ein frei für sich seiendes Ordnen ist ein Widerspruch , es
ist untrennbar gebunden an ein zu Ordnendes), so muss es einen
andern Charakter erhalten; es wird (bei Hegel) ein schaffendes
Denken, oder besser kurzweg ein Schaffen. ' ') Hier schon wird
in den immanenten Gang der Dialektik ein Fremdes eingeschoben
— eingeschoben? vielmehr zur Basis gemacht; allein dies Fremde
ist nicht, wie Trendelenburg will, in der Anschauung begründet.
Denn das Schafen kann weder mit der Anschauung, noch mit der
Vorstellung, noch mit sonst irgend welchem Stoff zu thun haben,
da alles fälschlich sogenannte Schaffen aus gegebenem Stoff wie-
derum weiter nichts ist als ein Ordnen, das reine Denken aber
auf allen Stoff verzichtet. Vielmehr schon , indem es sich selbst
voraussetzt, ist dem angeblich begriffsfreien Denken als immanen-
ter Charakter ein Begriff octroyirt, von dem wir nicht einmal
wissen, ob ja von dem es nicht einmal wahrscheinlich ist, dass
ihm ein realer Vorgang entspricht.
Was demnach Trendelenburg's Ausstellungen in Hinsicht auf
die Anleihen Hegel's bei der Anschauung betrifft, so ist es zu-
*M Reine Abstraktion = reine Subtraktion, und da Abstraktion hier
nicht als die Thätigkeit, sondern als das Resultat derselben anzusehen, =
Subtraktion von Nichts.
'^) Ein Bcgri/f, der fiichls unter sich begreift, kann unmöglich ein
Begriff heissen. Ulrici, Syst. d. Log. S. 462.
*') Vgl. Erdmann, Grundr. d. Psychologie. §. 99.
K
^K
4^
^
— 9 —
nächst , um einen Ausdruck Erdmann's zu gebrauchen , Silben-
stecherei, wenn er Hegeln den Begriff der Abstraktion desshalb
nicht concediren will, weil damit das reine Denken etwas voraus-
setz , das jenseits seiner liegt. Wenn die Entwickelung des reinen
Denkens sich unter Menschen verständlich machen will, so kann
sie nicht auf die einzigen und allgemeinsten Mittel der Verständi
gung verzichten. Sie will es auch gar nicht und behauptet e^
nu=ht. Seme Basis, gleichviel, was sie in Wirklichkeit sei ist
eben das, was w i r Abstraktion nennen; wie soll das reine Den-
ßir''". T 7'T' """ " ''''' "'<=''^ der allgemein gültigen
Begnffe und Ausdrücke bedient. Wenn es auch in unserem Ver-
s^nduiss nur das posterius zu diesen Begriffen bilden kann, so
nicht in Wirklichkeit das prius bilde. Auch das Denken muss
um em tüchtiger Meister zu werden, so mag auch das Denken
auf semem realen Wege die unerlaubtesten Sprünge machen wenn
es nur en Uch lernt, auf dem logischen geradeaus L gehen. Hege
will ja nicht erweisen, dass das Denken in Wirklichkeit, in praxi
ondern^ dass es logisch den von ihm in der Dialektik gezeich-
n en Weg gehen müsse. Um aber den logischen Weg del Den-
^n zu ebnen, muss er ihn gleichsam mit den Steinen des realen
Weges pflastern, auf denen das Denken allein vorwärts zu kom-
ins fnl T^l "" °" -ständlichen, aber auch nur von
uns („.cht von .hm) aus der Wirklichkeit abdestillirten Begriff
bezeichnet, ist tadelnswerth , sondern dass es diesen Begriff ifber
steckt'™ '"'''"''" ""'"' ^'" '''" ^'' ^'^'"^ ^^8"ff« ge-
^n. ^"7'"''=^^ Silbenstecherei liegt in dem Vorwurfe, .. könnte
das Werden aus dem Sein u,yl NicUsein gar nicht werden
wenn ny:U die Vorstellung des Werdens vorausginge. Einmai
namlich hat Hegel gar nicht gesagt, dass aus derinheit des Sein
M . das Werden Allein hätte er auch gesagt, das Werden
we.de. was weiter? Daraus folgt doch nicht, dass die Dialektik
— 10 —
den Begriff '* ) des Werdens anticipire, sondern höchstens, dass ihr
ein anderer Ausdruck fehle, um uns den Vorgang verständlich zu
machen.
Will man so genau dem Gange des Gedankens durch das
Feld der Sprache auf die Finger sehen, so bemerke man, dass
in dem Satze: aus dieser Einheit wird das Werden das Wort
wird dem Worte Werden nur sehr zufällig voraufgeht; ursprüng-
lich heisst es: das Werden wird; das TF^rcZen ist also mindestens
zugleich mit dem wird, und wer jenes, der hat auch dieses ver-
standen. Dass freilich in Wahrheit beide so nicht zu verstehen
sind, dass das Hegeische Werden überhaupt gar kein Begriff ist,
wird unten zu erweisen sein.
Indess sind dies wahre Bagatellen im Vergleich damit, dass
Trendelenburg das Denken geradezu vernichtet. Wenn Hegel die
Grenzen der Denkmöglichkeit zu hoch hinaufschiebt, so war es
am Orte, sie wieder herunterzuholen; aber sie durften anderer-
seits nicht so tief hinabgedrückt werden, dass das Denken darunter
erstickt. Wo soll alle Philosophie hinaus, wenn das Denken nur
so weit Gültigkeit haben soll, als es an die Anschauung gebunden
ist? Wo soll vor Allem Trendelenburg's so wichtiger Begriff der
Bewegung hinaus, und wie kann daraus gefolgert werden, was
Trendelenburg folgert, wenn darunter nur die angeschaute Be-
wegung verstanden wird? Als solche ist sie ein reiner Verhältniss-
begriff. ' ^ ) Für uns hier unten , für die Thiere selbst zugleich,
dreht sich die Sonne wirklich um die Erde, oder es ist wenigstens
gleichgültig, ob sich diese um jene, oder jene um diese dreht.
Wir sehen nur eine Verschiebung; ob einer von den beiden Polen
dieses Verschiebungsverhältuisses wirklich feststeht, ob beide sich
»*) Denn als Begriff fasst Hegel das Werden, nicht, wie Treudelen-
burg will, als Vorstellung, oder gar weiter unten (Log. Unt. I. S. 38)
als Anschauung. Das Werden ist freilich keins von allen dreien.
^5) Und diesen Sinn will es haben, wenn AI. Schmidt (Beleuchtung
der neuen Schellingschen Lehre etc. S. 117) Trendelenburg daran erinnert,
dass die Bewegung nicht eigentlich gesehen, sondern nur geschlossen werde,
ein Vorwurf, den er sich in der zweiten Ausgabe der Log. ünt. zu Herzen
genommen bat vgl. 1. S. 152.
)
-!■
v^
<»-
— 11 —
bewegen, ist für die Anschauung vollständig gleichgültig. Erst
der aus dieser Anschauung abstrahirte Begriff der Bewe-^ung ist
etwas was wir vor dem Thiere, dem unmündigen und Mioten
voraushaben; etwas, das wir uns nicht vorstellen können was
aber so erst Werth hat, indem es den (gleichfalls nicht vor'stell-
baren) Begriff der Ruhe fordert.
Aber noch vielmehr: es muss behauptet werden, dass das
Renken ) nicht nur nach oben sondern auch nach unten an den
Begriff gebunden ist, d. h. also an die Anschauung gar nicht ge-
bunden sein kann,") sobald man es im engeren Sinne fasst,
d. h. dem Anschauen und Vorstellen gegenüberstellt. Weder
Hegel noch Trendelenburg haben diese Grenze gehörig beachtet;
Anschauung, Vorstellung, Begriff und Gedanke fliessen bei Beiden
tortwahrend durch einander, während in Wirklichkeit jene Beiden
nur die Basis, der Letzte aber nur die Beziehung der Hegriffe
Eben deshalb aber ist direkt von der Anschauung aus der
Gedanke gar nicht zu erreichen, und er darf nicht nur nicht, wie
Trendelenburg will , unlösbar an die Anschauung gebunden sein,
sondern er kann nur Gedanke werden, wenn er sich von ihr los-
macht; sein Verständnis« ist nur von Begriffen oder von anderen
Gedanken aus zu erreichen. Zwischen diesem Vogel und
diesem Ei vermag die blosse Anschauung, selbst wenn sie da^
Legen des Eies beobachtet, keine Beziehung aufzufinden, die
unsere Erkenntniss bereicherte. Dies letztere geschieht erst
durch die Beziehung zwischen den Begriffen Vogel und Ei
Es ist daher der Vorwurf (Log. ünt. L S. 45), dass das reine
bein des Denkens nur durch reßektirende Vergleichung mü dem
vollen Sem der Anschauung zu Stande komme, nicht zu billigen.
In der That hat dieser Vorwurf zunächst etwas sehr Bestechendes;
allein man sehe doch zu: verglichen werden kann doch nur Vor-
fSvst"i ^r ^r!'°. '■" '?'"""' ^''""'' "'•=" '«"«^ «l^o. welche« ülrici
2L 7-S". , K -^ "' **■' '"^"'^ ^*^''^*"' «*-/"'«/". «tso alle
geultge Ihahgketl bezeichnet.
") üer logische Begriff- ui Ontnung.kategorie und zwar Ordnunos
kategor,e .«.' ijo^^v. Ulrici, Syst. d. Log. S. 453. "
— 12 —
handenes; folglich kann nichts durch Vergleichung zu Stande
kommen (d. h. entstehen), was in dieser Vergleichung schon die
eine Seite bildet; um verglichen zu werden, muss es doch schon
da sein. Das Wahre ist, dass der Begriff oder richtiger der Aus-
druck Vergleichung nur ein Mäntelchen ist, das dem bereits gegen
Hegel geltend gemachten Begriff d6r Abstraktion umgehängt wird.
Das reine Denken kommt nur durch reflektirende Anschauung,,.^
heisst weiter nichts als: es kommt durch Abstraktion von dem
vollen Sein der Anschauung zu Stande. Und dass das reine
Denken auf diese Abstraktion einerseits gar nicht verzichten kann
noch will (um sich nämlich verständlich zu machen), dass es aber
andererseits derselben nur als seines realen, keineswegs als
logischen Stützpunktes bedarf, ist bereits oben bemerkt worden.
Nicht als ob dadurch die Denkbarkeit des Hegeischen reinen
unmittelbaren Seins sollte dargethan oder vertheidigt oder auch
nur behauptet werden. Das reine Sein leidet vielmehr an dem-
selben Gebrechen, an dem seine Mutter, das reine Denken litt,
und welches das Erbübel der ganzen Dialektik ist. Wir haben
gesehen, dass das Denken ohne Begriffe, also ohne Merkmale
(Bestimmungen) sich nicht bethätigen, d. h. nicht leben kann;
und dass ein Begriff ohne Merkmale (Bestimmungen) ein Unding
ist; wie also das reine Denken eine unthätige Thätigkeit, so ist
das reine Sein ein unbegreiflicher Begriff. Die Sprache beweist
dies durch den Ausdruck Merkmal. Merken'^) ist soviel als
denken. Ein Etwas ohne Merk- (d. h. Denk-) Mal ist aber nicht
merk- (d. h. denk-) bar. Das 7^eine Sein ist ein unerreichbarer
Gedanke, weil es sich weder von Begriffen noch von Gedanken
aus erreichen lässt, den einzigen Schwungbrettern, die allen
Sprung im Reiche der Gedanken ermöglichen.
1 8>
') Marken = Grenzen; und Abgrenzen ist wie Denken nichts als
ein Ordnen. Etwas bemerken heisst dieses Etwas in seiner Abgrenzung
gegen andere Etwas inne werden; sich etwas merken es in der Er-
innerung gegen Anderes durch Abgrenzung bezeichnen; vgl. das seltsame
Deutsch -Fremdwort markiren.
->; V
— 13 —
Von der Bewegung.
Dass die Kategorien, welche nach Trendelenburg bei Begrün-
dung der Einheit der realen und der Gedanken-Welt die Haupt-
rolle spielen, als solche bezeichnet werden, die in vorzüglichem
Grade von der Dialektik erschlichen worden seien, um ihr in
Ihrem angeblich immanenten Fortschritt weiterzuhelfen, ist natür-
lich und selbstverständlich. Solcher Hauptkategorien hat Tren-
delenburg drei: Bewegung, Anschauung und Zweck. Ehe man
zu der Prüfung schreitet, ob und in wie weit Hegel dieselben
wirklich gewissermassen durch eine Hinterthür in die Werkstätte
des remen Gedankens eingelassen habe, um unbemerkt mit ihnen
zu openren, wird es angezeigt sein, ihre Auffassung im Spiegel
der Logischen Untersuchungen zu betrachten.
Die Untersuchungen wollen eine doppelte Bewegung er-
kennen: eine räumliche und eine sogenannte constructive , d h
eine Bewegung im Denken. Gegen die Entwickelung der räum-
ichen Bewegung und ihres Verhältnisses zu Raum und Zeit dürfte
kaum etwas geltend zu machen sein: man muss anerkennen, dass
die räumliche Bewegung nur aus sich erkannt werden kann, mithin
angenommen werden muss, dass sie aus sich selbst stamme-")
ebenso, dass sie eine einfache Thätigkeit sei.
Aber der Hauptpunkt, dass sie nämlich ein dem Denken und
bein Gemeinsames sei, kann nimmermehr so leichten Kaufs zu-
gestanden werden. Schon einzelne Ausdrücke Trendelenburg's
machen uns stutzig. Er sagt (1. 142), die Bewegung im Denken
müsse em Geffenbild der Bewegung in der Natur sein,-') fährt
aber gleich darauf fort: diese Bewegung im Gege^uatz gegen die
äussere u. s. f.
^
) Immer vorausgesetzt, dass unserer blos durch Seh luss vermittelten,
(t. D. (also um) sogenannten Anschauung von Bewegung ein realer Vorgang
entspreche was keineswegs erwiesen, ja weit eindringlicher bestritten als
befürwortet worden ist. Denn die Beweise Zeno's fiir die Nichtexistenz
baben m. E. noch keine stichhaltige Widerlegung gefunden
•») Vgl den Ausdruck Geye«4i/rf in Trendelenburg's Erläuterungen zu
Elem. log. Arist. §. 4. 5. =»6
— 14 —
— 15
Wie ist denn nun so plötzlich aus einem Gegen bild der
Bewegung eine solche selbst geworden? Später taucht der Aus-
druck GeyenUld noch einmal auf (S. 146) und wird behauptet,
dies Gegenbild sei keine blosse Analogie der Sprache; behauptet,
aber nicht erwiesen. Anderwärts (S. 39) heisst es: Man kann
sagen and wird sagen, dass die Beivegung, die die Naturphilo-
sophie zu betrachten habe, eine ganz andere Bewegung sei; die
Bewegung der äusseren Natur mitentscheide sich von der Be-
wegung des innet^en Gedankens u, s. /.
Auf welche Gründe stützt sich denn nun Trendelenburg' s
constructive Bewegung? das Denken, sagt Trendelenburg (S. 143),
tritt in der Anschauung aus sich heraus, und dies geschieht
durch die Bewegung. Wie sollen sich denn hier Denken und
Anschauung zu einander verhalten? Ist die Anschauung ein Theil
oder besser: eine Bethätigungsform des Denkens? Oder ist sie
vielmehr nur ein Mittel, ein dem Wesen des Denkens Fremdes,
was ihm nur den Stoff zu seiner Bethätigung liefert? Man sollte
meinen: das Letztere. Indess gleichviel, denn wie es immer sei,
es ist nicht zu verstehen, wie das Denken aus sich heraustreten
soll. Das Heraustreten ist doch eine Aktivität, eine Thätigkeit.
In der Anschauung aber verhalten wir uns rein passiv. Wäre
das Letztere nicht der Fall, so würde es uns möglich sein, uns
gegen unangenehme Anschauungen wie Misstöne, Missbildungen,
üble Gerüche u. s. w. zu verschliessen. Durch einen geistigen
Akt sind wir dies notorisch nicht im Stande, woraus erhellt, dass
die Anschauung ohne ein willkürliches Zuthun von unserer Seite
zu Stande kommt, * ' ) dass sie also zwa? durch Bewegung, nicht
**) Was Fechner (Psychophysik I. S. 165 ff.) über die Möglichkeit will-
kürlicher Sinneswahrnehmungeo (Hallucinationen) beibringt, scheint hier-
gegen zu sprechen, spricht aber in Wahrheit dafür. Denn selbst ange-
nommen, dass diese Wahrnehmungen nicht von aussen stammen (wo aber
ist hier die Grenze von aussen und innen?), so haben sie doch mit der
Denkthätigkeit nichts zu thun. Man vergleiche noch die Beispiele bei
Fechner 11. S. 498 ff., namentlich S. 501: die umcUlkür liehen Wahrneh-
mungen hatten durchaus den Charakter von ettcas Gesehenem, nicht Ge-
dachten. — Hagen, zur Theorie d. Halluciu. in Laehr's Psychiatr. Zeitschr.
^4
aber durch eine von innen nach aussen stattfindende, nicht durch
Bewegung des Denkens oder im Denken, nicht durch constructive,
vielmehr rein durch räumliche Bewegung von aussen nach innen
vermittelt wird.
Die weiteren Gründe Trendelenburg's sind nicht überzeugender:
Wer etwa, so sagt er, das Kepler sehe Gesetz denkt: der Planet
bewegt sich in einer elliptischen Bahn, — der muss das in sich
thun, ivas er sagt, dass der Planet thue. Soll dieses muss im
Allgemeinen gelten, wie jedes Muss, so ist der Begriff Ruhe un-
denkbar; denn um den Begriff Ruhe zu denken, muss ich thun,
was er sagt, dass der Ruhende thue, d. h. ich muss ruhen und
kann mich also nicht bewegen. Entweder also: das Denken kann
gewisse Gedanken nicht denken, oder das Denken kann nicht
ausschliesslich in der Bewegung bestehen; tertium non datur.
Indess erhellt auf das blosse Nachdenken, dass der Satz: der
Geist beschreibt im Räume des Gedankens jene Ellipse, durchaus
mchts Allgemeingültiges enthält. Der Geist kann dieses Ver-
fahren beobachten, wenn er will, aber nothwendig ist es nicht ''')
Trendelenburg fährt fort: Es ist also im inneren Denken der
Art nach dieselbe Bewegung, wie in der äusseren Natur. Also^
Worauf aber stützt sich ^\^s Also? Hier bewegt sich ein Planet,
dort nur die Vorstellung eines Planeten; (wenn wir überhaupt
zugeben, dass diese sich bewege oder gar bewegen müsse).
Begründet dies eine Gleichartigkeit, ja eine Dieselbheit der Be-
wegung? Doch wohl das Gegentheil; ebenso wie der Gegensatz
des realen Raumes zum Raum des Gedayikens, dem simulacrum
des realen Raumes. ^^ Der nächste Schluss ist doch wohl der
dass, wie der Raum des Gedankens (nur) ein simulacrum des
Bd. XXV. Heft l.S. 40. - Müller, Phantastische Gesichtserscheinungen §.34
41, 147 u. s. w. o » ,
-) Aehnlich in Elem. log. Arist. Adnot. §. 16 (S. 81 der sechsten
Auflage): tum demum mens humana se rem cognomsse seiet, guum, c,uo
gemla est modo, eodem seeum denuo genuerit. Das mag allenfalls von der
ersten erkennenden Untersuchung, nicht aber von jedem einzelnen nachherigen
Denken emes Begriffes gelten.
") Eine von Trendelenburg I. S. 144 acceptirte Bezeichnung Lambert's.
— 16 —
realen Raumes, wie die Vorstellung vom Planeten (nur) ein siipu-
lacrum des Planeten selbst, so auch die Bewegung im Gedanken
(nur) ein simulacrum der räumlichen Bewegung, d. h. also nicht
wirkliche Bewegung sei?
Die Ellipse ist bereits als ein Beispiel Trendelenburg's er-
wähnt worden. Mit Vorliebe wählt er seine Beispiele aus der
Mathematik, weil dort in der That die Bewegung benutzt wird,
um die unvorstellbaren Begriffe der mathematischen Grössen der
Vorstellung näher zu bringen. ^ * )
Auf diese uns Allen gemeinsame, rein pädagogische^^)
Massregel soll sich nun die Nothwendigkeit der Gedankenbewegung
stützen. Die innere Beivegung soll (I. 148) den Punkt zur Linie
dehnen u. s. w. Indem luir sie vollziehen^ entsteht uns das Bild
und die Kenntniss des Bildes. Nichts weniger als das; diese
vermeintliche Thätigkeit ist nichts weiter als ein Selbstbetrug,
vermittels dessen dem Tertianer über die ersten Schwierigkeiten
der mathematischen Anschauung fortgeholfen wird, von welchen
er erst bei reifendem Verstände gewahr wird, dass in Wirklichkeit
Niemand jemals vollständig darüber hinwegkann. Weder die
**) Und zwar weder mit Recht, noch, im Grunde genommen, mit
Erfolg. Was hilft es mir, wenn ich dem Begriff der Linie näher kommen
will, sie als durch Bewegung eines Punktes entstanden zu denken, da
doch der Punkt der allervorstellungsfeindlichste Begriff der ganzen Ma-
thematik ist? Vgl. Aristot. Top. VI. 4: uaAioxa yx^ io OTepeov Lno t7)v
aiaOrjöiv TciiiTet, to 6 ' izinzooy fjtaXXov tt); YpcifJ.u.7^s, Ypafxfxy] os ar^fieiou {aocX-
Xov xxX. ^
'*) D. h. auf keinem realen Grunde beruhende; denn der Körper
ist eine (ausgedehnte) Grösse, der Punkt ein ausdehnungsloses Nichts. Es
ist daher Widersinn, zu sagen und zu lehren, die Linie entstehe aus der
Bewegung des Punktes u. s. w. Auf Trendelenburg's (I. 267 ff.) hierfür
beigebrachte Gründe näher einzugehen, ist hier nicht der Ort. Giordano
Bruno nennt gar den Punkt die prima pars der Linie und diese die prima
pars der Fläche. Allein ünräumliches kann schlechthin nicht ein Theil
von Räumlichem sein, und Letzteres kann ebensowenig aus Ersterem ent-
stehen, es mag nun, wie Hegel Encycl. §. 19 Zus. 2 sagt, ein daseinloses
Dasein sein oder nicht. Auch das daseinlose (etwa gedachte) Räumliche
ist den Bedingungen alles Räumlichen unterworfen.
;
— 17 —
ffame Geometrie noch die ganze äusserliche Welt entsteht um
innerlich durch diese schaffende Bewegung. Denn wo nähmen
wir dann die Vorstellungen von Erscheinungen her, deren Ent-
stehung uns noch unbekannt ist, wie etwa das Nordlicht oder die
Sternschnuppen oder die Cholera? Und um einen Kirschbaum
vorzustellen - habe ich nöthig an den Kirschkern, an den Erd-
boden, an Wärme und Feuchtigkeit, an Okuliren und Beschneiden
an Aeste, Zweige, Blätter, Blüthen, Früchte und ihre allmähliche,'
immerhin durch räumliche Bewegung mitveranlasste Entwickelung
zu denken?
In Summa: ohne die Möglichkeit ja Wirklichkeit der Be-
wegung in der Welt des Gedankens schlechthin leugnen zu wollen
steht soviel fest: durch die Untersuchungen Trendelenburg's ist
sie nicht erwiesen. Finden wir also , dass die Dialektik auf die
reale Bewegung unberechtigt zurückgeht, so soll der Einwurf
gelten. Aber die Beschuldigung der Usurpation einer Gedanken-
bewegung wird uns höchstens veranlassen müssen, auch im ein-
zelnen Falle nachzuweisen, dass in jenem Bereich die Existenz
der Bewegung sich nicht darthun lässt. Um nun zur Sache selbst
zu kommen, so erscheint in Trendelenburg's Einwendungen die Be-
wegung als untergeschobene Anschauung zuerst im üebergang
vom Sein-Nichts zum Werden. Inwiefern Trendelenburg bei dieser
Gelegenheit auf Kleinigkeiten Werth legt, ist bereits erörtert
worden. Allein sein Vorwurf geht auch sehr auf das Wesen der
Sache ein, wenn er fragt, wie denn aus dem ruhenden Sein und
dem gleichfalls ruhenden Nichts, aus der Einheit Beider das be-
wegte Werden herauskomme. Aber wie kann schlechthin das
Werden ein bewegtes genannt werden, wo es sich um die Ent-
wickelung eines Begriffs aus Begriffen handelt. Freilich, unsere
Anschauung vom Werden, das wenige Aeusserliche, was von dem
unerforschbaren Vorgange zu unserer Kenntniss gelangt, ist an
die räumliche Bewegung gebunden. Aber selbst in der Anschauung
— ist das Werden durch Bewegung erklärt? Kann die Bewegung
etwas Neues schaffen, oder ist sie nicht vielmehr nur im Stande,
die Verhältnisse des Realen zu ändern? Mit Recht sagt Tren-
delenburg: Wenn wir durch Zergliedern diese MomenU im
2
- 18 —
1^ —
Werden finden^ so ist damit keineswegs begriffen^ wie sie inein-
ander sein können. Nun wohl, aber wird das durch das Hinzu-
treten der Bewegung geändert und gebessert? Wir fragen nicht
blos: Begründet? sondern: erklärt auch nur die Bewegung dieses
Ineinandersein? Weiter — : Wer Stamm und Aeste und Blätter
des Baumes unterscheidet^ hat damit das Räthsel noch nicht ge-
löst^ wie die Glieder aus einem Gemeinsamen entstehen und
durch einander leben. Gewiss nicht; hat er es aber gelöst,
wenn er den Begriff der Bewegung hinzuthut? Freilich ist klar,
dass die Säfte aus dem Boden in den Stamm und von dort in
die Extremitäten durch Bewegung gelangen; aber wo kommen
die Säfte her? und wie kommt's, dass dieselbe Bewegung der-
selben Säfte an jenem Stamm Eichen-, an diesem Weidenblätter
erzeugt? Man mag diese Säfte, das Materielle, noch so weit zu-
rückverfolgen, man wird immer an einen Punkt gelangen, wo die
Bewegung zur Erklärung des Werde - Vorgangs nicht ausreicht.
Die Säfte selbst lassen sich auf Bewegung nicht zurückführen;
und wenn selbst; allein, wie nun aus den Säften das Zellengewebe
iverde, und wie dazu die Bewegung hinreiche, das wird nimmer-
mehr darzuthun sein. ^') Steht es so im concreten Gebiet der
Anschauung, so ergiebt die Abstraktion ein weit verwickelteres
Fragengewirr. Das reine Sein und das reine Nichts sollen Begriffe
sein und zwar, wie Trendelenburg sagt, unanschaubare Vorstel-
lungen, wie wir gesehen haben, unbegreifliche Begriffe;
gesetzt aber auch, sie wären begreifliche Begriffe, welche Be-
wegung soll denn aus ihnen den neuen Begriff des Werdens ver-
mitteln? Doch wohl die constructive, da die räumliche nur im
Reiche der Anschauung gilt. Nun wohl; aber selbst ihre oben
stark angezweifelte Existenz zugegeben, wer vermag zu erkennen
oder auch nur zu ahnen, wie aus der Bewegung zweier Begriffe
ein neuer entstehe?
Das Wahre ist: Begriffe entstehen überhaupt nicht, sie sind
da. Wenn der heutige Tag, wenn jener Baum aus der Einheit
des Seins und des Nichts entsteht (abgesehen davon, ob es wahr
y
ist); der Baum schlechtliin, der Tag als Begriff entstehen nicht;
y sie sind da, längst ehe ich athmen und denken, diesen Tag be-
obachten und jenen Baum pflanzen konnte, und wenn meine zur
Bethätigung erwachende Denkkraft wirklich erst heute dieses,
morgen jenes Merkmal von angeschauten und danach vorgestellten
Bäumen . abstrahirt und so erst allmählich zum Begriffe gelangt,
so beweist das höchstens die Nothwendigkeit des Bewegungs-
prozesses für die Aneignung des ewig vorhandenen Begriffes durch
das sterbliche Individuum, nicht aber für die Entstehung des
ewigen Begriffes selbst.'^) Wenn für mein Vorstellen die ein-,
zelnen vergänglichen Gegenstände ihrem Begriffe in mir voraus-
gehen müssen, müssen sie es dann auch für den absoluten Begriff,
den ich mit den Individuen theile, die viele tausend Jahre vor
mir gelebt haben? Wäre das, so hätten wir ja das alte Räthsel
gelöst, ob das Ei das Frühere sei oder die Henne. Wir brauchten
dann nur auf den Begriff des Eies und der Henne zurückzugehen
und zu untersuchen, welcher in Ewigkeit der Frühere, d. h. welcher
aus dem anderen entstanden sei; aber da ergiebt's sich, dass sie
sich ebenbürtig gegenüberstehen, ob tausendmal in Wirklichkeit
die Henne aus dem Ei geivorden sei und umgekehrt. Und so
verhält sich's auch mit den durch gesteigerte Abstraction ge-
wonnenen, reineren Begriffen. Mit gleichem Recht (oder Unrecht)
kann ich das Werden aus dem Sein und das Sein aus dem
Werden folgern; ist doch das reine Sein nichts weiter als ein
Freiwerden von aller Bestimmtheit.
»•) Vgl. auch ülrici's scharfsinnige Erörterung Syst. d. Log. S. 272 ff.
' ') Erdmann (Gr. d. Log. 33. 1) und Fischer (System d. Logik und
Metaphysik §. 74. 1 ff.) dringen auch ausdrücklich auf Entfernung aller
Zeitvorstellung. Ulrici (Princip u. Meth. S. 61 und Syst. d. Log. S. 456)
will von dieser Unterscheidung zwischen für uns und für sich (Aristot.
Anal. post. L 2: rpos r^jxas und xr; cp^ast oder ^tiXä«; vgl. auch Top. VL 4
und Metaph. V. 11) nichts wissen; er nennt sie nicht nur durchaus will-
hürlich sondern auch den objektiven, sachlichen Fortschritt der Begriffs-
entwickelung zerstörend. Allein wie soll dann die objektive Realität des
Begriffes und die Möglichkeit des mathematischen Folgens zu Recht
bestehen? Trendelenburg selbst erklärt sich übrigens mit jener Unter-
scheidung einverstanden in den Erläut. zu Eiern, log, Arist. 2. Aufl.
S. 8, 35 und sonst.
2*
— 20 —
Ist somit das Werden dem Sein und Nichts coordinirt, ist
es gleich ewig, gleich unentstehbar, so ist gar nicht abzusehen,
was die Bewegung, selbst die constructive , in diesem Tempel
gleicher feststehender Säulen zu schaffen hat. Ist das Werden,
so braucht es sich um die Bewegung nicht zu kümmern, und die
vermeintliche Krücke, die Trendelenburg damit der Dialektik zu-
schiebt, könnte, wenn sie sich derselben in Wahrheit bediente, sie
nicht stützen, höchstens zum Stolpern bringen.
Darum ist es keine blosse Zufälligkeit des Ausdrucks, wenn
.Hegel sagt: Das Werden ist''') die Einheit des Sein und Nichts,
Ein Begriff kann ja sehr wohl die Einheit zweier oder mehrerer
anderen sein, wie Hoffnung die Einheit von Wunsch und Er-
wartung, oder im concreten Gebiete Raubvogel die Einheit
von Ra üb thi er und Vogel. Der Fehler der dialektischen Me-
thode liegt viel tiefer. Wenn wir nämlich bisher aus dem Ge-
sichtspunkte Hegers und Trendelenburg's Sein, Nichts und Werden
als Begriffe haben gelten lassen, so muss es gesagt sein, dass sie
in Wahrheit gar keine Begriffe, sondern blos Beziehungen von
Begriffen sind.***) Wenn Erdmann (Grundr. d. Log. §.31 Anm.)
sagt, das Hegeische Sein sei der Infinitiv der Copula Ist, so
scheint er mir nicht, wie Trendelenburg und Exner wollen (Log.
«•) Dazu sind zu vergleichen Trendelenburg s Ausdrücke wie F«r«-
gang, Uebergang (S. 39) u. a. m. Auch ülrici (Prineip u. s. w. S. 51, 56,
89 U. sonst) spricht von Uebergehen, Verschwinden , Bewegung, mit Hegel-
schem Ausdruck, aber in unhegelschem Sinne.
»») Haym (a. a. 0. S. 107) nennt das Sein die einfache Beziehung,
Uh-ici (Prineip u. S. w. S. 37) Formen, formale Momente u. S. w. Auch
möchte ich sie nicht mit K. Fischer (a. a. 0. §. 3 ff.) reine, urlheilende
M. s. w. Begriffe nennen. Es sind einmal keine Begriffe, denn was be-
greifen sie? An Fischer's eigenem Beispiel wird das deutlich, an der
Synthese. Was begreift denn der vermeintliche Begriff der Synthese unter
sich? Doch nicht die verschiedenen (d. h. nach Zeit und Urheber ver-
schiedenen) Akte der Synthese ? Denn die Synthese ist offenbar immer
eine und dieselbe, das + zwischen a und b drückt in Ewigkeit ein und das-
selbe aus, gleichviel was a und b auch immer bedeuten mögen. Zum Be-
griffenwerden gehört aber Verschiedenes, daher denn auch Fischer's: sie
wird nicht vorgestellt, sondern gedacht.
— 21 —
ünt. I, 117), dadurch zwei Grundgedanken des Meisters ver-
dorben zu haben; vielmehr hat er den Grundgedanken damit offen
ausgesprochen, so offen, dass der Irrthum darin klar zu Tage
liegt; er hat gar keine Verbesserung anbringen, sondern den
Meister nur verstehen und erklären wollen, wie er einzig ver-
standen und erklärt werden kann. ^ ") In Wahrheit muss zu jedem
Sein ein Ist gehören; nun giebt es zwei Ist, das eine gleichbe-
deutend mit JSwistirt, das zweite eben die Copula. Ein Drittes
vermag ich nicht zu finden, auch Erdmann erkennt keines an und
ebenso scheint Aristoteles keines gekannt zu haben, wenn er
unterscheidet: t6 8' st' laitv 7= pt); aTcXA; Xsyo), dU' o^^x et' Xsü-
x6c 7i p,^ Anal. post. IL 1. vgl. Fischer, Syst. d. Log. §. 76. 2.
Es kann aber das Hegeische Sein nicht den Infinitiv zu jenem
abgeben , weil die Existenz ja erst in der weiteren Entwickelung
der Kategorien als besondere Form des Seins heraustritt, mithin
kann es nur der Infinitiv der Copula sein.
Was daraus folgt, ist schon von Trendelenburg angedeutet,
freilich nur hypothetisch, weil er den bedingenden Grundgedanken
Erdmann's (d. h. also Hegel's) nicht anerkennt; es folgt nämlich
einmal, dass die (von Hegel behauptete) Voraussetzung slosigkeit
(des Seins) au/gehoben ist, da eine Copula nicht denkbar ist
ohne Copulirtes. Das will sagen: die Copula ist nur ein Aus-
druck für eine Beziehung, die Beziehung ist aber nur denkbar zu-
gleich mit dem Bezogenen, zwischen dem sie obwaltet, nur an ihm,
nur durch es.'«) Dieses Bezogene ist also die Bestimmtheit der
Beziehung; fällt nun, wie Hegel veriangt, jede Bestimmtheit fort,
so ist die Beziehung undenkbar , d. h. Sein u. s, w. sind blosse
Worte, aus dem Zusammenhange der Sprache herausgerissen, die
»») AI. Schmidt (Beleuchtung u. s. w. S. 124) erklärt das Sein als
den Begriff des Daseins. Allein das Dasein, wenn es überhaupt ein Begriff
wäre, hätte als solcher selbst nur noch ein Moment; trennt man dieses ab,
so ist nichts mehr zu gewinnen, und das Sein ist so wenig ein Begriff
als das Da.
) Fischer a. a. 0. §. 77. 3 : Unahhängig vom Denken giebt es kein
Sein als Begriff Kirchmann, Eri. zu Spinoza's Etb. (Philos. Bibl. V) S. 9
Anm*. 11: Die Beziehung an sich ist ohne Inhalt u. s. w.
— 22
— 23 —
ausser diesem Zusammenhange gar nicht denkbar, gar nicht ver-
ständlich sind. ^ * ) Aber gesetzt auch, sie wären denkbar, so folgt
zweitens, dass dieser Begriff des Seins für die absolute Unmit-
telbarkeit der Erfahrungswelt j ivelche auf ihm 7nthen soll, gaiiz
bedeutungslos ist. Mit andern Worten: Aus einer blossen Be-
ziehung zwischen Begriffen können ebensowenig neue Begriffe als
aus der Beziehung etwa zwischen zwei Weltkörpern andere Welt-
körper hervorgehen. Nur wenn man diese Beziehungsformen mit
den Begriffen des Seienden verivechselt, kann man meinen, damit
in der Erkenntniss der Zwinge vorzuschreiten (Kirchmann a. oben
angef. 0.). Hier ist der Grundmangel, der sich durch die ganze
Dialektik hindurchzieht, wie sich im Verlauf der Untersuchung
darthun wird.
Denn schon am Nichts und am Werden lässt sich dieselbe
Operation ausführen,'**) die soeben am Sein vorgenommen wurde.
Da ist freilich zunächst daran zu erinnern, dass der Ausdruck
Nichts eine sprachliche Ungenauigkeit involvirt, dass Hegel dafür
hätte Nicht oder Nichtsein sagen müssen. ''*) Dann ist aber das
Nichtsein der Infinitiv zu der negirten Copula Ist nicht, oder
das Nicht ist schlechthin die Verneinung der in der Copula lie-
genden Beziehung. In gleicher Weise ist das Werden dann keines-
wegs gleichbedeutend mit Entstehen, sondern es ist der Infinitiv
des Hilfszeitworts Wird. Man könnte zwar hier noch von einem
/
*') Erdmann nennt sie oft das Unwahre (Grundr. d. Log. §. 26. 27.
32. 32 Aum. 4 u. sonst.) und sagt, Seyn sei seines abstrakten Charakters
wegen schwer, ja wenn man will, unmöglich zu fassen und in begreifen. Ebend.
§. 29. In der That wird damit die Schwierigkeit der Logik (Erdmann
ebend. §. 8. Hegel, Encycl. §. 19. §. 24 Zus. 2 u. sonst) zur Unmöglichkeit,
soweit das Denken blosser Beziehungen gefordert wird.
* *) Ulrici (Princip u. s. w. S. 37 ff.) hat sie ausgeführt. Wenn dort
der Gegensatz als der zwischen formalem und realem Moment formulirt
wird, so ist das nur ein Unterschied des Namens nicht der Sache.
**) Erdmann, Grundr. d. Log. §. 30: \Yir nennen diese, die reine Ver-
neinung Nichts, Mchtsein oder vielleicht besser Nicht. Vgl. Log. Unters. 1.
S. 45: dass dabei das logische Nicht {das reine Sein ist nicht) zu einem
gleichsam realen und als Etwas gesetzten und angeschauten Nichts hypostasirt
wird u. s. w. Vgl. Erdmann ebend. Anm. 2. Ulrici, Syst. d. Log. S.»273.
dritten Werden sprechen, wie etwa in dem Satze: die Kirsche
wird roth. Allein auch wenn man dieses Werden als ein Drittes
gegen das Hilfsverb und das Entstehen"*^) abgrenzt, ist es
deswegen ein selbständiger Begriff? drückt es mehr aus als eine
Beziehung zwischen der Kirsche und dem Roth, die immerhin der
Einheit der anderen Beziehungen zwischen Kirsche und Rothsein
einerseits, Nichtrothsein andererseits gleich sein mag, gleichwohl
aber weder ohne die Bezogenen denkbar ist, noch irgend welchen
realen Begriff aus sich selbst heraus entwickeln kann?
Man muss der Möglichkeit Rechnung tragen, dass Erdmann
und die obigen an seine Ansicht sich anschliessenden Erörterungen
im Irrthum sind; dass sie, wenn sie ein drittes Sein ausser den
genannten nicht finden, vielleicht der Höhe des Hegeischen Ge-
dankenfluges nicht folgen können.'') Stellt man sich aber auf
ihre Seite, so führt die Betrachtung des Hegeischen Nichts auf
einen zweiten Mangel der dialektischen Methode, den nämlich,
dass der treibende Gedanke des Widerspruchs lediglich aus der
Vermengung der Beziehu^igen auf Verschiedenes entspriesst; wenn
ich sage: dieser Baum ist eine Eiche und nicht eine Weide, so
ist er zwar zugleich und ist nicht; aber das involvirt gar keinen
Widerspruch. Erst wenn die Beziehung zu einem und demselben
Begriff zugleich wäre und nicht wäre (wie etwa: dieser Baum ist
eine Eiche und ist nicht eine Eiche), so läge ein Widerspruch
vor, der den Gedanken zu seiner Beseitigung antriebe; aber Hegel
destillirt aus den identischen (d. h. zugleich vorhandenen) Bezie-
hungen des Eiche-Seins und des Nicht- Weide-Seins die vermeint-
**) Indem mau z. B. im Griechischen unser Hilfsverb als in den
Conjugationsformen liegend betrachtet und nun dem yr/vEa^ai das xivelar^ai
gegenüberstellt. Erdm. Gr. d. Log. §. 32 , 2 nennt das Werden eigentlich
den ersten Begriff.
*•) Indess, Hegel selbst spricht so offenherzig von Beziehungen und
confundirt sie so harmlos mit den Begriffen, dass man Erdmann zustimmen
muss, wenn man nur überhaupt gewillt ist, Beziehung und Begriff aus
einander zu halten. Vgl. Encycl. 95 als Beziehung des Negativen auf sich
selbst t$< das Für sichseiende oder das Eins das in sich Unterschiedslose; u.
soust.
— 24 —
liehen Begriffe des Seins und Nichtseins, die als solche an sich,
wenn sie denkbar wären, in der That einen Widerspruch invol-
virten, und zwar einen Widerspruch, der trotz allen Antriebes
nimmermehr zum Ausgleich käme. Später übrigens (I. S. 60)
erkennt Trendelenburg diese Natur der Beziehung und macht sie
gegen Hegel geltend, beim Begriff der Unendlichkeit, was unten
zur Sprache kommen wird.
Es wird noch die Frage sein, ob man der Dialektik durch-
weg diese Verwechselung der Beziehungen und Begriffe vorwerfen
kann, oder ob sie an irgend einer Stelle aus der Welt der Be-
ziehungen in die der Begriffe übergehe. In der That ist das
Letztere der Fall. ' ') Wesen und Existenz z. B. sind keine
blossen Beziehungen mehr. Gleichwohl wird dann wieder aus der
Begriffswelt in die Sphäre der Beziehungen umgeschlagen. Hierin
scheint mir der fortwährende Kampf zwischen äusserstem Spiri-
twdmnus und kräftigster Bealitätstendenz, zwischen eingebildeter,
errauonmrter, metaphysisclwr und anschaubarer und lebendiger
Realität, von denen Haym-) spricht, zu liegen, nicht in dem
Wesensgegensatz zwischen dem Begriff mid dem realistisch Bealen.
Wenn Haym (a. a. O. S. 307) beginnt: Wir stossen nach ein-
einander auf (das Sein) das Basein, die Existenz, die Wirk-
lichkeit, die Substanzialität, so konnte er, statt fortzufahren : und
diesenmich der ReaUtät schnackenden Kategorien folgen dann
nnl.,- O ^"*'""'^ ^^'- ^- ^°^- ^- ^^ ''"'''ä't ausdrücklich, dass man
dl ! J ;' "7"t '""" '" '*■■''*'""■ ""^^ ""«J <J«ss »a- ^iO damit
dem anstotehschen Begriffe der Kategorien wieder nähere; aber da ist
sTch '"/''f^tr' ,t'' *"''""'"'' ^'*' "'^ '^"^ "'"ander abzuleiten ver-
71 h! , ["' • ^""''' "• '• ''■ ^- ^^) '""»"'• -lass die Hegeische Me-
11 , . u^ nnrnnermehr zu einem realen, sondern nur zu einem for-
rfr K K "'""" ^''"*' '°'''"'°^"^'' *«" '^^ fokaler Denkbestim-
mungen verhelfe.
••) Hegel u. s. Z. S. 303. 306. Anderwärts (S. 96) heisst es: SelUi
das schärfste .4«ge is, jetzt kaum i« S,„„de, i« der Luft des reinen Gedankens
«och irgend e,n lebendiges Stäubchen .„ erblicken und jetzt Heder ist de,-
Geye W ,« Stande, durch die bunten, dicht hingelagerten Gestalten
einen Weg zu finden.
, M
- 25 —
jedesmal andere, welche in das rein. Element des Gedankens
j zuruckUUn auch sagen: diesen Kategorien des Realen folgen
jedesmal blosse Beziehungen, die mit jenen schlechterdings kle
Entwicklungsreihe bilden können. ^
Was nun Trendelenburg's Be,,egung anbetrifft, so lässt sich
das oben gegen sie geltend Gemachte auf Schritt und Tritt bei
alen Vorwürfen wiederholen, und es ist unnöthig, dieselbe Mani-
pulation in Hinsicht auf die continuirliche und die discrete Grösse
U.S.W. vorzunehmen; wenn die Sprache ihren Beziehungen offen-
iZt Z IT r^' f^ ^-»-^ -^ ^- S-oegung zum Grunde
a!l H T% ""''' ^''' """ '^'^^«'^«" Anschauungen
auch den Begriffen zum Grunde liegen. Die Sprache als etwas
Concretes muss sich auf das Concrete berufen, selbst wenn sie
das Abstrakte veranschaulichen will, denn sie kann sich mit dem
Abstrakten nicht aus einander setzen. Ist doch die Sprache bei allem
Reichthum an Anschauung und Entwickelung arm an Gewähr für
die wirkliche Vermittelung des Gefühlten und Gedachten; wir
sprechen wohl von Liebe und Glauben, von Bewegung und Be-
ziehung, aber wer bürgt uns dafür, dass wir mit diesen Aus-
drucken in der Seele des Anderen dasselbe wachrufen, was wir
selber dabei fühlen und denken? Die Unfruchtbarkeit der Bewe-
gung für irgend welches Schaffen und Erzeugen beruht im Grunde
genommen darin, dass die Bewegung, wenn wir nämlich die ün-
begrenztheit des Raumes und der Zeit annehmen, selbst zu einer
blossen Beziehung wird. Erscheint es in der beschränkten An-
schauung anders, so Hegt dies eben nur daran, dass wir vermöge
dieser Beschränkung nur begrenzte Raum- und Zeitabschnitte vor-
zustellen vermögen. Vom bestimmten, festen Pnnkt im Räume
erscheint allerdings die Bewegung dem Auge als ein realer Vor-
gang, und wenn wir sagen, da^s sich die Erde um die Sonne
drehe so denken wir uns den Mittelpunkt der Sonne als ruhend
und bestimmt. Allein im unbegrenzten Räume darf ein fester
Punkt nicht angenommen werden, weil ein solcher ja selbst Grenze
ist ; ohne diesen Punkt ist aber die Bewegung ein reines Verschie-
bungsverhältniss, eine blosse örtliche Beziehung, die weder ange-
schaut, noch für sich gedacht werden kann. Eine wenn auch
— 26 —
schwache Analogie finden wir in jener Sphäre irdischer Anschauung,
welche die meiste Verwandtschaft mit dem Unbegrenzten hat, auf dem
offnen Meere. Begegnen sich dort zwei Schiffe, so kommen sie
wohl an einander vorüber, aber wer kann sagen, welches von bei-
den sich nun bewege, oder ob beide sich bewegen, wenn er nicht
auf die Oberfläche des Meeres schaut, oder sonst einen Halte-
punkt für seine Blicke findet. Ein Gleiches ist es mit der Zeit.
Wenn wir sagen: Nach und Vor, und uns ohne dies die Er-
scheinungen nicht klar machen können, so liegt das an unsrer
menschlichen Beschränktheit, die keine Ewigkeit zu erfassen ver-
mag. Denn was heisst Nach und Vor anders, als: Näher an die-
ser und Näher an jener Grenze, zwischen denen unser endlicher,
gleichsam aus der Ewigkeit herausgeschnittener Zeitraum ruht?
Für die Ewigkeit giebt es kein Nach und Vor ;^") nur wir müs-
sen die Grenzen, die wir in die Zeit einschneiden, so ordnen und
benennen. * " )
Um dieser Ansicht gegen die Trendelenburg's Geltung zu
verschaffen, bedürfte es freilich eines genaueren Eingehens, als es
sich mit unserer Aufgabe verträgt, zu welcher wir nach dieser
kurzen Abschweifung zurückkehren.
Ton der Anschauung.
Soweit bisher von der Anschauung in ihrem Verhältniss zum
Denken die Rede gewesen, ist stillschweigend angenommen wor-
3«) Vgl. Spinoza, Eth. I. Prep. 33 Schol. 2.
*") Dem analog lässt sich auch behaupten, dass die sogenannten drei
Dimensionen des Raumes theils auf tellurischen Beziehungen theils auf
willkürlicher Classification bemhcn. Denkt man sich die drei Dimensionen
durch drei in einem Punkte sich schneidende Gerade dargestellt, so ist gar
nicht abzusehen, warum nicht jede andere durch diesen Punkt gezogene
Gerade gleichfalls den Charakter einer selbständigen Dimension sollte bean-
spruchen können. Offenbar auch können die regelmässigen Körper nur
bis zum Würfel u. s. w. durch die drei Dimensionen erschöpfend charak-
terisirt werden ; bei den Figuren des hexagonalen Kristallsystems, des mo-
uoklinischen gar u. a. m. reichen die drei Dimensionen für die Inhaltsan-
gabe offenbar nicht aus.
j
^
-N
, *.i
— 27 —
den , dass das Denken die Anschauung zu seiner Voraussetzung
habe. Es hat sich unter diesem Gesichtspunkte bislang nur darum
gehandelt, jedem Gliede in der Entwickelungsreihe: Anschauung
- Vorstellung - Begriff (Kategorie u. s. w.) seinen ohne Weite-
res als den rechten angenommenen Platz genau abzugrenzen
Vielleicht aber ist der der Anschauung oben zugewiesene Platz
überhaupt gar nicht der rechte; vielleicht muss sie mit dem Ge
danken (Begriff und Kategorie) die Rollen oder doch die Staffeln
der logischen Leiter tauschen. Kuno Fischer wenigstens behauptet
es, und es gilt zuzusehen, ob er Recht behält.
Nach Fischer-) nämlich wird die Anschauung durch das
Denken erzeugt, sie ist ohne Kategorien, ohne Begriffe nicht mög-
lich. Beide sind in der Anschauung enthalten, da sie sonst das
analysirende Denken nicht darin finden könnte. Sie sind die
Theile, die Einzelvorstellting ist das Ganze. Müssen nicht, sagt
Fischer (a. a. 0. S. 66. 5), diese Tlu^üe in dem Ganzen enthalten
nicht Mos entlialUn, sondern dergestalt in ihm verbunden und
verknüpft sein, dass sie ein Ganzes, eine in sich zusammenluin-
gende Vorstellung bilden f Ohne diese Verknüpfung giebt es
kerne MmelvorsUllung , keine Anscluxuung ; also foi^dert die An-
schauung selbst ah ihre Bedingung eine logische Verknüpf imq
die ohne Begriffe nicht möglich ist.
Sind die Begriffe - die Kategorien einstweilen bei Seite
") Fischer a. a. 0. §. 64. 3 bis 66. 5. Hier dürfte der Hauptcoin-
cdenzpunkt von Fischer's Lehre mit derjenige« Kaufs zu suchen sein
Indessen ist der Unterschied immer „och gross genug. Kant sagt nicht
nur nicht, dass die Anschauung das Schouvorhandensein der Begriffe for-
dere, sondern er behauptet sogar, dass die am dem inncrn (hM des reinen
Amchauens und Denkens herstammende gewisse Form bei Gelegenheit
der Materie zur Erkenntniss erst in Ausbildung gebracht werde und (dann
erst) Begriffe hervorbringe (Krit. d. r. Vern. (Ausg. v. Kirchm.) S. 130;. Später
ausdrücklich: Die Anschauung bedarf der Funktion des Denkens in keiner
We.se (S. 133). Die Vorslellmig, die t«r allem Denken gegeben sein kam,
ketsst Ansehauung (S. 139) u. s. w. Nur ein scheinbarer Widerspruch liegt
m dem Satze: Begri/fe von Gegenständen werden aller Erfakrungskennlnis^
zu Orunde liege» (S. 134). Auch die Einheit der Apperception ist von
fischer's logischer Verknüpfung streng verschieden.
— 28 —
gelassen — wirklich die Theile der Einzelvorstellungen , oder ist
es vielleicht umgekehrt? Damit wäre die alte Streitfrage zwischen
Realismus und Nominalismus des Mittelalters in etwas veränder-
tem Gewände wieder in die Arena gerufen. Hier wie dort lassen
sich beide Ansichten durch scheinbare Gründe verfechten; allein
bei näherer Betrachtung erkennt man doch, dass die Theile der
Einzelvorstellungen nicht Begriffe, sondern Merkmale * '') sind.
Wären nämlich Begriffe gleichfalls die Theile der Einzelvorstel-
lungen, so müsste ja wohl Begriff und Merkmal gleichbedeu-
tend sein. Dies angenommen, so ergiebt sich von selbst, dass die
Begriffe (d. h. also die Merkmale) erst mit und in der Anschauung
gegeben sind, also nicht vor ihr vorhanden sein und bei ihrer
Bildung mitwirken können.
Ferner ist es nicht zu billigen, dass das analysirende Denken
die Begriffe in der Anschauung finden soll. Niemals kann von
einem Begriffsfunde, stets nur von Begriffsbildung die Rede sein.
Das analysirende (trennende) Denken findet die Merkmale, aber
wenn es beim Analysiren bliebe, so würde der Verstand auch
nicht um einen Schritt vom Flecke kommen. Der Begriff ent-
steht erst durch das verbindende Denken; wie denn mit der Ar-
beit des Steinbrechers erst die Hälfte zur Fertigstellung des Hauses
gethan ist ; eben deshalb sind aber auch die Häuser nicht die Theile
der Steinbrüche, obzwar sie aus deren Theilen bestehen. Wenn
dieses Gleichniss hinkt, so hinkt es ra. E. nicht mehr als andere
Gleichnisse eben auch.
Hierin ist auch der Grund dafür zu suchen, dass ich von einer
einzelnen Vorstellung aus schlechthin zu keinem Begriffe gelangen
kann, welches doch vermittelst einer einfachen Theilung möglich
sein müsste, wenn Begriff und Vorstellung wirklich in dem von
Fischer behaupteten Verhältniss ständen, und dass, selbst die
Möglichkeit einer solchen Begriffsbildung zugestanden, die endlose
Manchfaltigkeit der Natur und der Erscheinungswelt auf diesem
.r
4X>
») Sit veoia verbo. Genau gesprocheu müsste von den den Merkmalen
entsprechenden Einzelvorstellungen die Rede sein. Ueberweg, Syst. d. Log.
§. 45.
— 29 —
Wege ebenso oft zur falschen wie zur richtigen Begriffsbildung füh-
ren würde. Denn die Natur pflegt sich an unsere Begriffe als
Gesetze nicht zu bindern Daher denn in so mancher wissenschaft-
lichen Disciplin eine nach jener Methode auf eine einzelne An-
schauung basirte Begriffsbildung soviel Rauch und Dunst hinter-
lassen, ja die Wahrheit oft auf Jahrhunderte verdunkelt hat.-»^)
Wir treten der Frage von der anderen Seite näher: auch die
Kategorien sollen im Verhältniss zur Anschauung das Frühere,
das Miterzeugende sein. Man muss ohne Weiteres zugeben, dasi
die Kategorien Bestandtheile der Anschauungen sind. Muss nun
aber auf die Frage, wie die Kategorien in die Anschauung kom-
men, durchaus mit Fischer geantwortet werden: sie sind darin,
folglich hat sie das Denken hineingethan ; das Denken erzeugt
die Anschauung, darum kann es sich aus der Anschauung auch
wiedererzeugen ?
Oder kann man mit demselben Recht antworten: sie sind
darin, aber wer weiss woher? Sie sind darin wie die Merkmale eben
auch (soll heissen: die den Merkmalen entsprechenden Einzelvor-
stellungen); und die Merkmale hat doch wohl das Denken nicht
hinzugethan. Die Anschauung besteht aus Merkmalen und Kate-
gorien; das Denken schält beide heraus, um sie zu besitzen, thut
sie aber nicht hinein, um sie wieder daraus zu erzeugen. Denn
was hätte dieser Zirkelprocess auch für einen Zweck ? Doch nicht
den, ihre Gültigkeit zu prüfen? Denn wie ich sie hineinmische,
ziehe ich sie wieder heraus, und die Anschauung, die ich mit ihrer
Hülfe erst erzeuge, kann kein massgebender Prüfstein ihres
Werthes sein.
Drei Gesichtspunkte sind möglich, wenn man das Verhältniss
zwischen den Beziehungen der Wirklichkeit und denjenigen der
Gedankenwelt betrachtet; die Beziehungen zwischen den Vorstel-
lungen U.S.W, sind da; entweder kann man nun, wie Hume will,
diese Beziehungen für etwas Subjektives halten, dem freilich eine
*3) Ebenso charakteristische als seltsame Beispielsammlungen findet
man in Mehliss, Ueber Virilescenz und Rejuvenescenz thierischer Körper.
Leipzig 1838. S. 29 und in Willdungen , Litterarische Hauptjagd auf ge-
hörnte Hasen (Waidmanns Feierabende, Bd. lü. Marburg 1817) S. 21 ff.
- 30 —
Erscheinung in der Objektivitcät mit einer wunderbaren (oder besser
wunderlichen?) Regelmässigkeit entspricht, d. h. also Causalität
finden, wo in der Wirklichkeit nur efti stets wiederkehrendes
Nacheinander ist; eine Art von Occasionalismus, der bei Hume
befremdet. Kant gab, um die Objectivität dieser Kategorie zu
retten, die Wirklichkeit des Wahrgenommenen preis und machte
die ganze Welt zur nur subjektiven Erscheinung. Dies ist der
zweite Standpunkt, und nur aus ihm ist mutatis mutandis
die Anschauung Fischer*s zu verstehen. Die dritte Möglichkeit
endlich ist, die Beziehungen in der Welt der Vorstellung in der-
selben Weise für Erscheinungen von Beziehungen in der Wirk-
lichkeit (d. h. also von wirklichen Beziehungen) zu halten, wie
die Anschauungen eingestandenermassen Erscheinungen (die Be-
griffe Abgüsse) des Wirklichen sind. '*^)
Unter dem letzteren Gesichtspunkt verschwindet auch das
Problem der Causalität, das unter den beiden anderen nicht so-
wohl beseitigt als vielmehr durch ein anderes ersetzt worden ist.
Das Wort Causalität ist alsdann ein blosser Name, der nichts
mehr und nichts weniger Problematisches enthät als jeder andere
Name. Ich sehe — um einen einfachen Stoff zu nehmen — hun-
dertmal Gold, ohne zu fragen, wo es herkomme; wenigstens ist
die Wissenschaft jetzt so weit, auf diese Frage zu verzichten; es
ist eben da, und mit diesem fait accompli muss ich mich begnügen.
Aus dieser hundertmaligen Anschauung bilde ich Vorstellung und
Begriff des Goldes, und Niemandem fällt es ein, darin ein Pro-
**) Erscheinungen! Hinter das Wesen dieser Beziehungen zu ge-
langen, wird dem Menschen ebenso versagt bleiben, wie die Erkenntniss
des Dinges an sich. Mit welchem Recht man aber den Erscheinungen des
Seienden etwas Reelles zu Grunde legt und sie als uns von aussen gegeben
betrachtet, die Beziehungen aber zwischen diesen Erscheinungen für eine
rein subjektive Zuthat erklärt, will mir schlechterdings nicht einleuchten.
Und hat nicht vielleicht Aristoteles dasselbe sagen wollen mit den Worten :
O'Jte 6)] cvUTrapyouoiv dcpwpiajjiEvai ai £?eis oOi' oltz ä'AXtüv e?eu)v yiyvovxai
7Vü>aTtxü)T^ptt>v ocXX' 017:6 aic^dcu); x-p. Analyt. post. II. 20? Was dann
sonst die geforderte Einheit zwischen Sein und Denken herstellen soll, ist
eine andere Frage. Und ist sie denn wirklich durch den extremen Idea-
lismus hergestellt?
— 31 —
blem zu suchen. Auf gleichem Wege bilde ich mir aus hundert
Anschauungen einer mir erscheinenden Beziehung (die wir Ur-
sächlichkeit nennen, gleichviel, was ihr Wesen sei) den Begriff
der Ursächlichkeit. Nach ihrem Woher und Wie zu fragen, ist
ebenso unberechtigt, wie nach dem des Goldes.
Dass zum mindesten die Kategorie der Causalität nichts Sub-
jektives ist , dass sie nur von aussen gewonnen, nicht an die Be-
trachtung der Aussenwelt mit herangebracht wird, das scheint mir
Hume unwiderleglich dargethan zu haben. Sein Adam/') sein
Mann von noch so gutein Verstände'') sind sprechende Zeug-
nisse. Eine einmalige Beobachtung eines Nacheinander müsste,
wenn die Kategorie der Causalität dem Denken eigenthümlich
wäre, zu der Unterscheidung befähigen, ob der vorliegende Fall
unter sie oder unter die Rubrik Zufall gehöre. Alle Erfahrung
bestreitet dies. Allein auch von den anderen Kategorien lässt
sich darthun , auf diesem oder anderem Wege , dass sie lediglich
aus der Erfahrung stammen. Es widerstrebt nicht nur dem na-
türlichen Gefühl, dass ich die Kategorie Dasein nöthig haben solle,
um eine Anschauung— zu bilden oder zu empfangen ? — sondern
es ist in Wahrheit nicht der Fall. Aufrichtige Selbstbeobachtung
lehrt, dass diese Kategorie dem Denken erst gegenwärtig wird
durch Vergleichung mit dem Nichtsein, oder besser Fortsein. Und
was erst durch Vergleichung gewonnen wird (bewusst wird), kann
unmöglich dem Denken ureigenthümlich sein. Und so ist's mit
den übrigen Kategorien auch; nur dass es hier nicht am Orte
ist, die Procedur an noch mehreren vorzunehmen.
Unzweifelhaft — man muss es wiederholen -- sind die Be-
griffe und Kategorien in den Anschauungen enthalten ; allein, da
die Anschauung selbst noch gar keine logische That ist, so fordert
sie auch keine logwehe Verknilpfung. ' ') Die erste logische That
in dem Process des Denkens ist erst die Vergleichung der durch
die Anschauung mit Hülfe der Erinnerung erworbenen Vorstellun-
**) Unters, üb. d. menschl. Verstand, übersetzt v. Kirchm S 27
*«) Ebenda S. 40.
Arisiot. analyt. post. 1, 24.
— 32 —
gen; daher wir bei einem noch nie Erschauten sagen, dass wir
uns nichts dabei denken können. Die Anschauung wird auch
dem Säugling geliefert, der zu einer logischen That noch nicht
fähig ist; aber eben deshalb kann er auch nichts mit ihr an-
fangen.
Die Anschauung ist einer jener problematischen Punkte, wo
das Körperliche und das Geistige sich die Hand reichen. Muss
das Geistige nun Alles selbst hinzuthun, was es in dem ihm vom
Körperlichen dargereichten BethätigungsstofF finden will? Dann
mtisste ja auch wohl, wenn mein Wille Arm oder Fuss bewegt,
Arm oder Fuss den Anstoss dazu gegeben haben , ja die Bewe-
gung raüsste ausschliesslich auf sie zurückgeführt werden. Man
sieht nicht, was der Gedanke da will. Und so sieht man umge-
kehrt keinen Zweck und Nutzen der Anschauung und der Sinne
ein, wenn das Denken von vornherein mit den Begriffen und Ka-
tegorien ausgerüstet ist. *'') Die Sinne spielen alsdann die Rolle
des Alchymistentiegels, aus dem nur das Gold herauswächst, das
der Adept vorher hineingethan hat.
Das würde heissen, mit Schopenhauer, dass es nur discursi-
ves Denken gebe; und in der That, das soll es heissen. Oder
mit anderen Worten : Auch die Kategorien sind nichts Subjektives,
sondern Abbilder realer, in der Wirklichkeit bestehender Ver-
hältnisse, die das Denken erst aus der Anschauung der letzteren
begriffsartig abzieht.
Unter diesem Gesichtspunkte: welchen Standpunkt nehmen
die logischen Untersuchungen der Anschauung gegenüber ein?
Dieselbe soll eine derjenigen Krücken sein, deren sich, nach Tren-
delenburg, die Dialektik widerrechtlich am öftesten bedient. Es
ist bereits zur Sprache gekommen, dass unsere Anschauungen
nicht willkürlich sind, dass also die reale Welt ihre Bilder ohne
unser Zuthun auf der leeren Tafel unseres Innern verzeichnet
d. h. ohne unsere Denkthätigkeit in Anspruch zu nehmen. In
\ 1^
>'
^>,
- 33 —
Zuständen der Betäubung, wo das Denken seine Thätigkeit ein-
stellt, haben wir noch Anschauungen, Empfindungen, äussere Ein-
drücke; ja, dieselben können bis zu der Stärke anschwellen, dass
sie das Vorstellungs- und damit auch das Denkvermögen wieder
wachrufen, wie man denn bei scheinbar Ertrunkenen und Schein-
todten überhaupt durch Stechen mit scharfen Nadeln und Auf-
träufeln heissen Siegellackes das Bewusstsein zu erwecken und so
das vorhandene Leben zu konstatiren gesucht und vermocht hat.
Es heisst mithin die Begriffe confundiren, wenn man die Anschauung
als eine Bethätigungsform des Denkens bezeichnet. -**') Allein
nicht einmal das Vorstellen ist eine solche. Die Vorstellung
wird erzeugt durch Erinnerung, und die letztere ist nur dann eine
Form des Denkens, wenn wir dieses nicht im strengen Sinne
nehmen, nicht als einen Vorzug vor den Thieren voraushaben,'«)
nur als geistigen Vorgang im Allgemeinen auffassen wollen. Dass
die Thiere Erinnerung besitzen, bedarf keines Erweises, der Hund
des Odysseus ist ein Beispiel dafür. Von den Vorstellungen der
Thiere ist schon die Rede gewesen. Der Löwe, der in des
Wärters Reinigungsstange beisst, und dieser Unart entwöhnt
werden soll, indem man die Eisenstange bis zu einem bedeutenden
Grade erhitzt, erhält eine so deutliche Vorstellung von der ver-
derblichen Temperatur, dass er die Stange fürchtet wie den Tod.
Erkennt man also in der Vorstellung eine Bethätigungsform des
Denkens, so muss man auch den Thieren Denkfähigkeit zusprechen.
Allein die Selbstbeobachtung zeigt, dass das Denken (im strengen
Sinne) mit der Erinnerung nichts zu thun hat. Man kann sich
*•) Man werfe nicht ein mit Kant (Kr. d. r. V. S. 119. 149 u. sonst),
sie seien ja ohne Anschauung leer ; denn das eben ist die gewaltsame Ab-
straktion. Ohne Anschauung sind sie überhaupt nicht.
*') Anderwärts (Log. ünt. 1.68) nennt sie Trendelenburg im Anschluss
an Aristoteles ein Element des Denkens, augenscheinlich mit Bezugnahme
auf die oben angeführte Stelle der späteren Analytik IL 20. Aber da ist
unter -giotov -mVAryj doch wohl Grundlage, Stoff, Substrat des Denkens
zu verstehen. Die Deutlichkeit hat durch Anwendung des zweideutigen
Fremdwortes Element in keinem Falle gewonnen.
*") Doch liegt es nach Erdmann, Grundr. d. Log. §. 25, *;* unserem
Beicusstsein, dass üenken d i e Funktion ist, die den Menschen zum Menschen
macht, und worin nach Hegel Encykl. §. 19 Zus. dessen Unterschied vom
Thiere besteht.
3
— S4 —
etwas genau einprägen, selbst ohne sich etwas dabei denken zu
können. Ich entsinne mich, durch häufig wiederholtes Anhören
einer längeren Stelle aus Job, welche einer meiner Stubengenossen
laut in hebräischer Sprache meraorirte, den ganzen Passus gleich-
sam wider Willen vollkommen richtig meinem Gedächtniss ein-
geprägt zu haben ohne eine Ahnung von Sinn, Bedeutung und
Herstammung derselben.'') Ja, die Erfahrung lehrt, dass die
Erinnerung ohne Hülfe des Denkens (zwar langsamer, aber) weit
dauerhafter arbeitet, auffasst und behält, als mit derselben, weil
sie sich im letzteren Falle mehr, als gut ist, auf die Mitwirkung
des Denkens verlässt. Darum entschwindet uns der Katechismus
und die Lieder, die wir, ohne sie zu verstehen, in der frühesten
Jugend gelernt haben, unser ganzes Leben hindurch nicht wieder,
während das meiste mit Verständniss und mit Hülfe des Denkens
Gelernte, d. h. das durch das Denken schon Geordnete, uns mit
der Zeit nur zu leicht wieder untreu wird, weil die Erinnerung,
so zu sagen, es in den Fächern des;Gedankenschrein's durch das
Denken sicher genug geborgen glaubt.'-)
Die Vorstellung ist aber auch die Grenze, die der inneren
Thätigkeit bei dem Thiere sowohl als bei dem Idioten und Mi-
krocephalen gesteckt ist. Ihr Vorstellungskreis ist so weit und
so reich als der unsrige, aber sie wissen nichts damit anzufangen.
Die bearbeitende Thätigkeit fehlt ihnen. Zwischen ihnen und den
grössten Denkern liegen in langer Kette die Verschiedenheiten in
»») Erdmann, Gr. d. Psych. §. 99, erklärt die Vorstellung für ein
Denken, iceil die Intelligenz ... durc/i ihre eigene Thätigkeit einen Inhalt
besitzt, welcher kein äusserlicher mehr ist. Hier entsteht noch die Frage,
ob die Erinnerung ein Werk der Spontaneität oder der Receptivität der
Intelligenz ist, ein willkürlicher oder unwillkürlicher Akt, kurz, eine Thätig-
keit oder ein Leiden. Nach den hier angeführten Beispielen bin ich sehr
geneigt, das Letztere zu glauben; die Intelligenz gleicht hier dem Wachse,
welches — und augenscheinlich ohne eigene Thätigkeit — das Bild der
Münze als Inhalt empfängt und behält.
»») Plato Phaedr. S. 275 A.: toOto y^^p t^^' fxaOovTwv '/afir^^ ^h £v
•}j/alc zap£$£i fxvr^fXT^s afxeXeTT^ata , otxe oia -iotiv Ypa?^? e|u){)ev . . . oux
Evoodev auTO'Js ücp' ctÜTÄv avafxvr^oxofAEvo'Js. Bezieht sich dies auch hier
nur auf die Schrift, so ist die Parallele doch unverächtlich.
— 35 —
der Begabung dieses Vermögens. Der Dumme steht dem Thiere
so viel mehr näher, als seine Fähigkeit geringer ist, die wuchtende
Masse der Vorstellungen zu ordnen und zu bearbeiten. ^ *) Weiter
aber: da die Anschauungen Objekt und Bethätigungsstoff der Er-
innerung sind, so können sie nicht Objekt des Denkens sein; ja
das (streng genommene) Denken würde mit der blossen Anschauung
schlechterdings nichts anzufangen im Stande sein, wenn sie ihm
nicht von der Erinnerung bearbeitet und fixirt überliefert würde.
Dass man aus der Anschauung eines Baumes unmittelbar keinen
'Begriff bilden kann, leuchtet ein. Ich kann auf einmal immer nur
einen Baum anschauen, jetzt eine Weide, jetzt eine Eiche. Aber
wo sollte der Begriff herkommen, wenn im Weitergehen von der
Weide zur Eiche zugleich mit der Anschauung der Weide die
Vorstellung davon aufhörte?
Was folgt hieraus? Dass das Denken die Anschauung nicht
verwenden kann; dass also, wenn Trendelenburg Hegeln vorwirft,
er habe dem Denken durch Zurücksreifen auf die Anschauunor
oder heimliches Einschmuggeln derselben fortgeholfen und neuen
Stoff verschafft, dies entweder und mindestens ein P^ehler im Aus-
druck ist, oder aber, dass der Vorwurf innerlich unbegründet ist,
sobald Anschauung bei Trendelenburg nicht anders als im eigent-
lichen Sinne genommen werden kann. Denn das Denken kann
die Anschauung höchstens als Probirstein für die Richtigkeit der
von ihm zu verarbeitenden Vorstellungen verwenden, zu sonst
weiter nichts.
Die dialektische Negation.
Als die lo(jischen Mittel der Dialektik, um aus dem leeren
Sein durch die Mittelglieder der zwischenliegenden Geschlechter
hindurch die absolute Idee zu erzeugen, werden von Trendelenburg
(I. 43) die Negation und die Identität bezeichnet.
*') Rob. Reinick: Wenn's Glück ihm günstig ist, was hilf Vs dem Michel?
Steht er im Weizenfeld, fehlt ihm die Sichel.
IVenns Glück ihm günstig ist, was hilf^s dem Toffel?
Denn regnet's Hirsebrei, fehlt ihm der Löffel,
3*
— 36 —
Die Negation besteht darin, dass der eben erworbene Begriff
durch seine eigene Natur in seine Negation umschlägt; inwiefern
nun die nothwendige Aufgabe entspringt, das Positive mit dessen
Negation zusammenzudenTcen, soll dieser entstandene Wider-
spruch durch einen dritten Begriff, den die Dialektik hervor-
bringt, gelöst werden. Bei einer tieferen Untersuchung verkehrt
sich dieser positive Begriff wiederum in sein negatives Gegen-
thdl, und dadurch wiederholt sich der beschriebene Vorgang
einer neuen Geburt. Hiernach ist die Verneinung der treibende
Stachel der ganzen Bewegung.
Wir sehen zunächst von den Ausdrücken, umschlagen, ent-
springen, hervorbringen, sich verkehren, Vorgang, Geburt, Be-
wegung ab, welche alle den ganz unhegelschen Begriff der Be-
wegung in eine Welt von ruhenden, sich gleich gegenüberstehenden
Begriffen und Beziehungen hineintragen, während die Bewegung
in Wahrheit nur in dem Fortschritt des Lehrens und Lernens,
nicht in der Sache selbst beruht, um zunächst dasjenige zu ver-
folgen, was Trendelenburg gegen den entwickelten Ideengang
geltend macht.
Und da kann man ihm nur beistimmen, wenn er die Negation
nicht als logische Negation (Widerspruch, contradictio)
sondern als reale Opposition (Gegensatz, Oppositio
contraria) auffasst. Hegel selbst^' •) und die Hegelianer haben
diese Auffassung ausdrücklich für die ihrige erklärt (Log. ü. L 44
Anm. 3). Allein hier fällt sofort auf, dass die Inconsequenz im
Ausdruck HegeFs nicht nur nicht gerügt, sondern selbst adoptirt
wird, indem durchweg von Widerspruch die Rede ist, wo in
Wahrheit nach der formalen Logik nur conträre oder reale Oppo-
sition stattfindet. Man kann geneigt sein, diese üngenauigkeit für
eine Bagatelle anzusehen, allein es wird sich bald finden, dass
aus ihr allein die ganze Spukgestalt des treibenden Stachels ent-
sprungen ist. »^) Bei Trendelenburg zunächst entsteht die Frage,
**) Z. B. Logik I. S. 40: dass das Negative ebensosehr positiv ist, oder
dass das sich Widersprechende sich nicht in Null, in das abstrakte Nichts
auflöst, sondern wesentlich in die Negation seines besonderen Inhaltes u. s. f.
**) Vgl. ülrici, Prineip u. s. w. S. 51, 87 u. sonst.
— 37 —
ob sich die reale Opposition auf blos logischem Wege gewinnen
lasse. Aber wie ist das anders möglich, wenn die Logik über-
haupt von der realen Opposition etwas wissen, wenn sie diese
Beziehung statuiren und mit ihr operiren soll? Wie würde die
Logik die Negation an sich in jene beiden Unterarten scheiden
können, wenn sie nicht aus sich zum Bewusstsein dieses Unter-
schiedes zu gelangen vermöchte? Vielmehr ist die Frage, ob die
Logik das unterscheidende Charakteristikum der realen Opposition
verwerthen kann; ob das Neue, was der Gegensatz an die
Stelle des Verneinten setzt, für ein blos logisches Verfahren ver-
ständlich und verwendbar ist. Wenn in dem Gegensatz we iss-
schwarz die Logik nichts weiter zu finden weiss, als dass
schwarz nur eben nicht weiss ist, mit welchem Rechte trennt
sie alsdann diese Negation von der blos logischen, contradik-
torischen? Dann giebt es überhaupt nur eine Art von Negation
und das gesetzte Neue ist ebenso unwesentlich und gleichgültig
wie die ganze Unterscheidung. Dass also das schwarz mehr
enthalten müsse als das nicht weiss, das muss der Logik aus
sich selbst klar sein , und die Anschauung ist dazu nicht eben
weiter nöthig, als sie der Logik durchweg nöthig ist. Aber: was
nun Neues durch das schwarz gesetzt werde, das in der That
kann die Logik aus sich selbst weder begreifen noch verwerthen,
d. h. die Logik sieht und weiss die andersgeartete Beziehung,
aber sie sieht und weiss nichts von dem realen begriffe, der jener
Andersartung zum Grunde liegt, und der in der That nur aus
der Anschauung gewonnen werden kann. Hier erhellt zunächst
der Grund der oben angedeuteten sprachlichen Inconsequenz. Ist
das Ebengesagte richtig, so verschwindet in Wirklichkeit für die
Logik, wenn sie fortoperiren soll, der Unterschied zwischen den
beiden Arten der Negation. Wenn ich nicht weiss, was in dem
Begriffe schwarz Neues liegt, so hat er für mein Wissen nicht
um ein Haar mehr Werth als der Begriff nicht weiss.^«) Aus
diesem Grunde war es in der That gleichgültig, ob sich Hegel des
Ausdruckes Widerspruch oder Gegensatz für seine Negation bediente.
•) Ulrici a. a. 0.
— 38 —
Nun aber operirt Hegel wirklich fort; er bringt ein Neues,
welches nach Trendelenburg eben nur jenes Neue sein kann, das
die reale Opposition an Stelle des Neglrten setzt; und wo bringt
er es her? aus der reflektirenden VergleicUunf/.'''') Von diesen
beiden Sätzen ist einer so zweifelhaft als der andere. Man prüfe
nur das Beispiel, dessen sich Trendelenburg bedient und welches
am nächsten lag, das Verhältniss zwischen Sein, Nicht und
Werden, selbst angenommen, es seien dies Begriffe, Das i^ehie
Sein setzt sich in das Nichts um . ... es (fieht also kein reines
Sein , es ist Nichts, Das Nichts ist hier mir gewonnen , in-
imefern das reine Sein des Denkens mit dem vollen Sein der
Anschauung verglichen ist. Das Denken hat also etwas Amleres
ausser der ersten Bestimmung in seinem Busen versteckt und
geivinnt die neue Bestimmung durch reßektirende Yergleichung
mit diesem unrechtmässigen Begriffe. Nun wohl; dies Alles
zugegeben, welches ist denn diese neue Bestimmung? Offenbar
doch jenes Andere^ welches die reale Opposition in ihrer Ver-
neinung setzt, welches das Denken in seinem Busen versteckt hat.
Dies also wäre das Werden.
Es ist schon auffallend, dass Trendelenburg nicht bis zu
dieser Consequenz fortgegangen ist; er spricht nur von der neuen
Bestimmung, nennt sie aber nicht beim Namen; man darf dabei
nicht vergessen, dass er den Gedankengang HegeKs billigt, sobald
man das Recht zugesteht, das im Busen des Denkens versteckte
Neue wirklich einzuschmuggeln. Indessen zeigt die Beobachtung,
dass alles Einschmuggeln nimmermehr auf das Werden führt.
Das Nichts wäre nach Trendelenburg die Negation des Sein, d. h.
die reale Opposition; ihr Wesen ist, dass sie ausser jenem Ne-
*') Ulrici a. a. 0. tadelt als das unrechtmässige Eingeschmuggelte
die Beziehung des Uebcrgehens, Allein m. E. will Hegel unter dem Ueber-
gehen nichts Anderes verstanden "wissen, als was Ulrici selbst gleich darauf
(S. 51) über das Verhältniss zwischen Identität-Position und Nichtidentität-
Negation entwickelt; schärfer wird der Unterschied S. 56 gefasst, allein
auch da erscheint er mir nicht als ein wesentlicher. Mit dem Vorwurf
S. 57, dass die Hegeische Methode blosse abstrahle Bewegung sei, kann ich
mich nicht einverstanden bekennen.
• i
— 39 —
giren ein Neues setzt; allein wer vermag zu beweisen oder auch
nur zu behaupten, dass das Nichts das Werden im Busen ver-
steckt halte? Selbst wenn man, abweichend von Trendelenburg,
Sein, Nicht und Werden mit unseren früheren Erörterungen für
blosse Beziehungen hält, so hat die Beziehung des Nichtseins
schlechterdings nicht das Werden im Busen. In dem Gegensatz
Eiche-sein und Nicht-Eiche-sein setzt die Negation allenfalls
Weide-sein oder Ahorn-sein, oder was immer sonst als das Neue;
aber nur in einem einzigen Falle das Eiche-werden, und ein so
Vereinzeltes ist kein Allgemeines, d. h. Nothwendiges.
Wenn nun solchergestalt Trendelenburg der Dialektik durch
Annahme der realen Opposition in der reflektirenden Vergleichung
auch nicht einmal bedingungsweise vom Flecke hilft, wie ist ihr
dann zu helfen? Wo kommt das Neue her, wenn es nicht das
Neue der realen Opposition ist? Und unter welche Arten von
Negation ist die Hegeische zu rubriciren? — In Wahrheit: es
ist der Dialektik eben nicht zu helfen; ihre Negation ist weder
die logische, denn das soll und kann sie nicht, noch die reale,
denn sie hilft zu nichts. Es ist ihr nicht zu helfen, weil sie eine
immanente Entwickelung der Begriffe nur zu sein behauptet, in
Wahrheit aber ein leeres Spiel mit kahlen Beziehungen ist^^)
Denn um die Beispiele Trendelenburg's weiter zu betrachten,
so führt in Ansehung des Begt^ff'es der Veränderung (Log. U.
I. 45) die kritische Betrachtung auf völlig dem vorigen gleichem
Wege zum völlig gleichen Ziele. Sein für Anderes, Anderssein
und Veränderung gehen dem Sein, Nicht und Werden parallel,
sie stehen in ganz demselben Verhältniss. Woher, fragt Tren-
delenburg S. 46 , weiss das dialektische Denken , das für jetzt
nur das Etwas betrachtet, durch dies JEtwa>s von einem Etwas
ausser der Grenze? Sonderbare Frage! Könnte das Denken
überhaupt das Etwas betrachten, wenn es nicht vorhanden wäre?
*") Vgl. beispielsweise Ulrici a. a. 0. S. 85: Ea kommt darauf an,
was unter dem ISichts verstanden wird. Dies ist das Urtheil der dialek-
tischen Methode. Eins und dasselbe in verschiedenem Sinne zu verstehen,
ist, was Trendelenburg mit Recht das leere Spiel mit kahlen Beziehungen
nennt.
— 40 —
Um aber vorhanden zu sein, muss es Grenzen haben; die Grenze
wiederum ist nur denkbar durch und vermittelst eines andern
Etwas, eines Mwas ausser der Grenze; wenn nämlich, wie Tren-
delenburg mit Recht sagt, die Grenze ihrem Wesen nach eben-
sosehr ausschliessende Abwehr als Berührung ist. Weiss ich
von Keinem, das abgewehrt und berührt wird, so weiss ich auch
von keiner Abwehr und Berührung, d. h. von keiner Grenze und
damit überhaupt von keinem Etwas. Mit dem Etwas ist all' das
zugleich gegeben.
Ohne Frage weiss also das dialektische Denken bei Betrach-
tung des Etwas, dass ein Etwas jenseit der Grenze existirt,
nur vom Wesen dieses Etwas weiss es nicht; es weiss on f^v,
aber das xi r^v entgeht ihm. Ist das aber nothwendig, um zu
dem leeren Begriff (Beziehung) des Andersseins zu gelangen?
Nimmermehr. Der Begriff der Grenze setzt zwei Etwas voraus,
die sich in ihr berühren und abwehren. Das muss zugegeben
werden. Diese ausschliessende Verschiedenheit nennt die Sprache
Anderssein, gleichviel, welches der reale Inhalt jener beiden Etwas
ist. Wie in aller Welt ist dazu die reßektirende Vergleichung
nöthig? Ferner, dass dies Ausschliessungsverhältniss als Negation
gefasst wird und zwar als reale Opposition, wer könnte das miss-
billigen oder widerlegen? Aber nun müsste nach Trendelenburg s
EntWickelung das negirende Etwas ein Neues im Busen haben
und setzen, ein Neues, welches denn der neue, durch den trei-
benden Stachel des Widerspruches zu Tage geförderte Betriff
wäre, und dies müsste die Veränderung sein. Wie aber kann ein
Etwas die Veränderung im Busen tragen? Wasser sei das Etwas,
Luft das Andere, d. h. das Nicht-etwas. Nun kann doch der
Begriff Anders- (als Wasser) sein ebenso gut das Erde-
sein oder Feuer-sein im Busen tragen, als denjenigen des
Sich- (in Luft) Veränderns, d.h. wir erlangen abermals
eine vereinzelte Beziehung, die tausend anderen an Wahrschein-
lichkeit des durch die Opposition Gesetzt- Werdens höchstens
gleichsteht und somit für den immanenten dialektischen Fort-
schritt vollständig werthlos ist.
Es ist bemerken^werth , dass Trendelenburg auch hier die
— 41 —
Consequenzen seiner eigenen Annahme, nach welcher die Ent-
wickelung des Begriffes aus der realen Opposition (wenn auch nur
mit Hülfe der reflektirenden Vergleichung und der Bewegung)
möglich wäre, nicht gezogen hat; er wäre sonst auf das Unge-
gründete dieser Annahme gekommen. Aber die Erwähnung seiner
Lieblingskategorie, der Bewegung, scheint ihn gleichsam davon ab-
zurufen, auf einen anderen Tummelplatz, wo er gegen die alten,
selbstgeschaffenen Schatten streitet; überall findet er üebergang
und Bewegung, wo Hegel nur sagt: das Anderssein ist nicht ein
gleichgültiges ausser dem Etwas, sondern sein eigenes Moment;
Etwas ist durch seine Qualität hiermit ersüiclt endlich ivnd
zweitens veränderlich u. s. w. Und was hülfe auch alle Bewegung,
um den Begriff (Beziehung) der Veränderung zu erklären? wFe
ist es möglich, dass das Etwas in das Andere übergehe, ohne mit
der Grenze zugleich sein eigenes Sein und Wesen zu vernichten ?
Nicht anders bei Gelegenheit der Repulsion (L. U. L 48).
Freilich: im Worte Repulsion liegt seiner Abstammung nach der
Begriff der Bewegung. Aber das beweist höchstens, dass der
Ausdruck unglücklich gewählt ist, zumal Hegel ja ausdrücklich
bezeichnet, was er darunter verstanden wissen will, nämlich
negatives Verhalten und Beziehung. Nun können sich aber Be-
griffe augenscheinlich zu einander verhalten und auf einander be-
ziehen, ohne dass auch nur das Bild der Bewegung zum Ver-
ständniss solcher Verhältnisse erforderlich wäre. Diese Repulsion
ist vollständig verständlich auch ohne die begleitende Vorstellung
der räumlichen Bewegung, ja sie würde mit der letzteren schlechter-
dings nichts anzufangen wissen, wie oben bereits bemerkt- worden
ist. ^«) Genau ebenso verhält es sich mit dem Ausdrucke Selbst-
zerspUtterung , auf den sich Trendelenburg I. 49 beruft. Freilich
ist die Sprache Hegel's dunkel und schwer verständlich; denn
was soll die Beziehung des Negativen auf sich selbst bedeuten?
Das Negative soll jedenfalls heissen: die Negation des Etwas,
d. h. also das Andersseiende ; dies auf sich bezogen, (d. h. das
*») Damit wäre denn auch die Erörterung Log. ünt. 1. S. 49—50
widerlegt.
— 42 —
Andersseiende des Andersseienden) ist das Fürsicliseiende , das
Eins. — ein langathmiger Cirkel, für den weit kürzer und deut-
licher gesagt werden konnte: Wir nennen das Etwas in seiner
Coordination zu anderen Etwas das Eins. Aber da ist keine Zer-
splitterung. Der Flügelmann einer Corapagnie ist im Verhältniss
zu seinen Kameraden ein blosses Eins. Aber inwiefern wird da-
durch der Begriff seiner als des Eins zersplittert? Auch warum
die Beziehung des Negativen auf sich selUi nicht negative Be-
zlehuwf, nicht Unterscheidung sein soll, ist nicht abzusehen, da
doch Beziehung des Negativen unter allen Umständen negative
Beziehung, d. h. Unterscheidung ist, es mag sich beziehen, worauf
es wolle. Der wahre Fehler Ilegel's beruht vielmehr auch hier
auf der Vermengung ganz verschieden gearteter Beziehungen. Die
beiden Etwas heissen nun die beiden Eins ; niemand kann leugnen,
dass sie sich von einander unterscheiden — wohlverstanden:
ein Eins unterscheidet sich von einem Eins; aber hieraus zu
folgern, dass sich das Eins von sich selbst unterscheide, heisst allen
Regeln des Denkens Gewalt anthun; denn dort ist das Eins in
concretem Sinne genommen, hier im abstrakten ; dort bezeichnet
es das Einzelne, das Individuum, hier den allgemeinen Begriff;
dort mit einem Worte steht es singularisch, hier pluralisch. '• «)
Und der Erfolg sind jene Thesen, die allem Denken und Ver-
stehen so schnurstracks zuwiderlaufen; dass sich etwas von sich
selbst unterscheide, von sich selbst repellire, sich in ein Vielfaches
seiner selbst zersplittere. Nirgends in der Welt der Erscheinung
und Erfahrung finden wir ein Analogon für diese tiefsinnig schei-
nenden Paradoxen; aber mit welchem Rechte will sich der Ge-
danke den Gesetzen der allgemeinen Weltordnung entziehen?
Und wie sollen wir ihm zu folgen vermögen, da alle Möglichkeit
der Verständigung eben in jenen allgemeinen Gesetzen be-
schlossen ist?
•0) Hier schlägt der Vorwurf ein, den Ulrici, Syst. d. Log. S. 109
Hegeln macht, dass er die Natur ^des Vntcrschicdes verhenne. Dasselbe
Objekt nämlich sei darin, worin es positiv es selbst sei, zwar zugleich
relatives Nichtsein des Andern; beides aber sei keineswegs an sich
einerlei.
43
In der That war gerade hier das Spiel mit leeren Beziehungen
zu augenfällig, als dass Trendelenburg es hätte ignoriren können,
für den ja doch die Widerlegung der dialektischen Methode nur
Werth hat, soweit sie seinen eigenen positiven Kategorien (Be-
wegung u. s. w.) zu Gute kommt. In Kap. 7, bei der Entwicke-
lung der Gegenstände a priori aus der Bewegung und der Materie
betrachtet er noch einmal das Eine, das Andre, das Viele, Ver-
änderung, Repulsion und Attraktion. Hier kommt er denn hin-
sichtlich der dabei angeblich obwaltenden Identitäten zu einem
unserem obigen sehr nahe verwandten Ergebniss; er nennt die
Identität der Eins unter einander oder des Eins mit dem Andern
eine lediglich in die Betrachtung, nicht in die Sache /allende;
aus eitler solchen Identität einer nach einer einzigen Seite hin-
geinchteten Vergleichung kann die Identität der Mepulsion nnd
Attraktion nicht folgen; (I. 296) sagen wir mehr: es kann gar
nichts daraus folgen; die vielen JEins, sagt Hegel, sind gleich,
imviefern sie alle dieselbe ausschliessende Thätigkeit nben, und
Trendelenburg setzt hinzu: die beschränkende, eine einseitige Be-
trachtung einführende Conjunction iriwiefern ivarnt vor der
Annahme einer Gleichheit des Wesens; wo aber Gleichheit des
Wesens fehlt, Beziehung überhaupt des Wesens, da kann sich
offenbar niclits Wesentliches entwickeln. So lange sich daher die
Dialektik nicht damit begnügt, etwa blos Methode und Entwicke-
lung der Beziehungen zu sein, kann man ihr eine durchgehende
und immanente Bedeutung für die Welt der Begriffe . nicht zu-
gestehen. £ine solche Dialektik nennt Trendelenburg (I. 299)
mit Recht ein krauses Arabeskenspiel abstrakter Begriffe (Be-
ziehungen) nnd das Geschnörkelte und Verschlungene giebt den
Schein des Tiefsinnigen her. Anderswo (II. 271) heisst der so-
genannte dialektische Fortschritt ein willkürlicher WecJisel der
Vorstellung, ein Wechselspiel. — Zunäclist Keisst es: das Ein-
zelne ist allgemein; sodann aber: das Einzelne ist nicht allgemein.
Dies ist nichts weiter als eine gemachte Schwierigkeit, ein Wider-
spruch, der keiner ist, und der zu nichts treiben und führen kann.
Ueberall aber ist es nicht zu billigen, dass Trendelenburg
Hegeln den fremden Begriff der Bewegung unterschiebt, von dem
— 44 —
Hegel nichts sagt, oder wenn er etwas sagt, nur durch eine
mangelhafte Ausdrucksweise äusserlich einen Gedanken verwirrt,
der seinem Wesen nach nichts mit der Bewegung zu thun hat.
Man kann es sich ersparen, die Werthlosigkeit der sogenannten
dialektischen Negation durch weitere Beispiele zu verfolgen (I. 51).
Ueberall stellt sich auf dem nämlichen Wege das nämliche Re-
sultat heraus; dass sich Widersprüche, wie sie die Dialektik an
ihren Stoffen herausfindet und herauskehrt, um sich selber damit
gewissermassen anzuspornen, an jedem Begriffe in seinen Bezie-
hungen auffinden zu lassen; dass diese eigenthümliche Natur des
Begriffes immerhin als Stoff zu einer tiefsinnigen Betrachtung mag
dienen können; dass aber diese Widersprüche aus blossen
Beziehungen mit der Negation, logischen wie realen, schlechter-
dings nichts zu thun haben und zur Erkenntniss, geschweige denn
Entwickelung der Begriffe nichts beitragen, weil aus blossen Be-
ziehungen der Dinge ihr Wesen nicht ergründet werden kann,
man mag nun Anschauung, Vergleichung oder Bewegung zu Hülfe
nehmen.
Wäre sich Hegel, so klar er sich darüber war (vgl. Encycl.
§. 81), dass seine Negation nicht blosse logische sei, in der Con-
sequenz hieraus eben so klar gewesen, dass sie mithin keinen
Widerspruch involvire; hätte er sich also diese geringfügig aus-
sehende sprachliche Ungenauigkeit nicht zu Schulden kommen
lassen, so hätte er, da sich seine Dialektik ohne einen solchen
Stachel nun einmal nicht forthelfen kann, sie entweder ganz auf-
gegeben, oder einen besseren Stachel auffinden müssen; ob sich
ein solcher finden Hesse, ist eine Frage für sich. Trendelenburg
lässt (I. 56) zwischen den Zeilen lesen, dass er durch den realen
Gegensatz die dialektische Entwickelung der Begriffe für möglich,
wenn auch nicht für ein Eigenthum des reinen Denkens halte;
ob mit Recht, ist 'eines Andern Sache zu entscheiden.
Die Identität.
Bei der Betrachtung der Identität geht Trendelenburg dem
schon mehrfach nachgewiesenen Fehler, dem Spiel mit Bezie-
^• '
— 46 —
hungen, am nachdrücklichsten und geradesten zu Leibe; er nennt
sie gleich (I. 59) eine nackte Beziehung des vergleichenden Den-
kens; und dieser Entschiedenheit ist es zu danken, dass man zu
Trendelenburg's Einwendungen kaum ein Wort zusetzen kann,
welches etwa ein neues Streiflicht auf die Mängel der Dialektik
zu werfen vermöchte. Ein Wort erschöpft sie (I. 57) : die Iden-
tität ist in ihrem Grunde nichts als die Reflexion der logischen
Gleichheit; d. h. sie ist das Vorhandensein einer'') gemein-
schaftlichen Beziehung zwischen zwei Begriffen, aber sie er-
scheint nur ?m Resultate als die reale Einheit; d. h. die Fol-
gerung realer Einheit aus jener vereinzelten Beziehungseinheit ist
eine Scheinfolgerung, ein Widersinn.
Erstes Beispiel hierfür ist die Gewinnung des Begriffs Un-
endlichkeit. Das Etwas setzt nach Hegel das Andere voraus.
Das Andere ist im Verhältniss zu jenem Etwas selbst ein Etwas,
und jenes Etwas ist sein Anderes; diese Beziehung, die man (wenn
man fortwährend neue Etwas in Betracht zieht) fortwährend fort-
setzen kann , in der That ohne Ende , nennt Hegel die schlechte
Unendlichkeit. Man kann sie sich veranschaulichen als eine ge-
rade Linie oder eine Zahlenreihe ohne Ende. Aber was ist damit
gewonnen? Ist damit die Unendlichkeit denkbar geworden? So
wenig, als die endlose Gerade denkbar oder darstellbar ist. Für
die eine undenkbare Beziehung ist eine andere gegeben, die bei
näherer Betrachtung sich als genau dieselbe herausstellt, nämlich
als Un-End-lichkeit. Mit Trendelenburg's AVorten : Jedes eigen-
thimiliche Kennzeichen erlischt; und es ist unter dieser Voraus-
setzung gleichgültig, ob man das Eine oder das Ändere das Än-
dere des Änderen nennt; diese nackte Beziehung geht den. Ge-
danken der Sache nichts an. Es wird daraus nichts, denn es
schwebt die Vergleichung hoch über der Sache. Es ist das Nichts-
sagendste von der Welt. Hier ist nichts weiter hinzuzufügen.'^)
Weiter: da das Etwas zugleich das Andere ist, so geht es
•0 Vgl. Log. Unt. I. S. 60: In dieser Beziehung ist allerdings Iden-
tität da, aber mir in dieser Beziehung.
•») Weitere gegründete Einwüife gegen diese sehr schlechte Unendlich-
keit b. Ulrici, Princip u. s. w. S. 98.
^ 46 —
im Uebergang ia das Andere mit sich selbst zusammen; diese
Beziehung im Uebergehen und im Anderen auf sich selbst ist die
wahrhafte Unendlichkeit, veranschaulicht durch die in sich zurück-
kehrende Linie, den Kreis. Aber diese kahle VenjleichiUiy he-
(jründet nimmer die wunderhare Thatsache der Schöpfung, dass
'sieh etwas in seiner Veränderuni/ erhalte und venvirJcUche. Das
Etwas ist nur in der einzigen Beziehung zum Anderen das An-
dere ; real gefasst, ist das Andere mit dem Etwas schlechterdings
nicht' identisch, es geht also im Uebergehen in das Andere keines-
wegs mit sich, sondern mit einem Etwas zusammen, das nur in
einer gleichen Wechselbeziehung mit ihm steht, in der nämlich,
dass am Ende Alles ein Etivas ist (Log. Unt. L S. 61). Aber
auch in Absicht auf diese neue Beziehung ist Hegel's Schluss
fehlerhaft, wie Fischer (Syst. d. Log. S. 83) und Ulrici (Princip
etc. S. 99) nachgewiesen haben. Hegel selbst (Philos. Abhdlgen
S. 257) sagt, erst wenn die Ent(je(fensetzan(j eine reelle ist, ist
Eins ins Ändere üherzayehen fähig. In der That ist erst dieser
reelle Uebergang Veränderung, bei Hegel aber ist er nicht er-
klärt, vielmehr geht der Verlauf ins Unendliehe in gerader Linie
fort.' Das Unendliehe bleibt die Wiederholung, die schleehte.
Nirgends biegt sie sieh in sich zurück .... Die grossen Be-
griffe des Ganzen und der in sich zurückkehrenden Bewegung
innerhalb dieses Ganzen sind durch eine solche hin- und her^
fahrende Befle.vion der Erkenntniss auch nicht um ein Haarbreit
näher gebracht. Das Beispiel des Selbstbetvusstseins ist in seiner
Beweiskraftlosigkeit von Trendelenburg erschöpfend klargestellt.
Ueberdies: wie soll der Satz Hegel's zu verstehen sein: Bcts
Selbstbewusstsein bezieht sich auf ein Anderes? Wenn es auch
Subjekt und Objekt zugleich ist, so ist es doch immer ein und
dasselbe, nur in verschiedenen Beziehungen angeschaut; es ent-
ivickelt sich an dem Gegenschlag des Gegen.standes und wird in
sich zurückgeworfen, d. h. von den Gegenständen ausser ihm, sie
auffassend und erkennend, zurückgeworfen, trifft es auf sich selbst
und setzt sich — ein unaufzuklärender Vorgang — zu ihnen in
Gegensatz. Dies Geheimniss wird kaum jemals ergründet werden
können; die Dialektik bringt den suchenden Geist hier auch nicht
— 47 -^
um einen Schritt voran ; die ausgehöhlte Identität der Vergleichung
ist auch hier so ohnmächtig luie ein Kind, das gegen den Sturm
anspricht.
Es folgt das Beispiel von Nothvvendigkeit und Freiheit. Hegel
gestattet sich hier die grössten Gedankensprünge. Die Wirkung
als solche ist Gesetztsein. Aber das Gesetztsein ist zugleich Un-
mittelbares, und indem die Ursache wirkt, setzt sie voraus. Es
ist sofort klar, dass das Gesetztsein im ersten Falle etwas ganz
Anderes bedeutet als im zweiten, wenn man nicht unter Gesetzt-
sein die kahle Beziehung des Vorhandenseins versteht. Dann frei-
lich setzt die Wirkung das Vorhandensein voraus, und das Vor-
handensein kann aus einem anderen, nämlich dem entgegengesetzten
Gesichtspunkte als das Unmittelbare betrachtet werden. Soll aber
im ersten Satze Gesetztsein soviel heissen als Gewirkt-, Hervor-
gebracht-sein, so kann nicht fortgefahren werden: das Gesetztsein
ist zugleich Unmittelbares, denn es ist eben durch das Setzende,
die Ursache, vermittelt.*'^)
Trendelenburg hat sich mit der Erörterung des alten Fehlers
an diesem Punkte nicht aufgehalten , weil er ihn an Spitze und
Ziel des ganzen Gedankenganges nachweisen will. Aus jener halt-
losen Identität zwischen Ursache und Wirkung folgert Hegel, dass,
was als zwei Ursachen erschien, an sich nur eine Ursache sei,
und dass, was in der Ursprünglichkeit als Wirkung angesehen
worden, in Wahrheit erst durch eine Gegenwirkung gesetzt sei,
mithin eine Ursprünglichkeit nicht bestehe. (Hier haben wir wieder
das Ei und die Henne.) Dieser reine Wechsel mit sich selbst ist
die enthüllte Nothwendigkeit. Soll das enthüllt den Hinterge-
danken haben, dass die Vorstellung der Nothwendigkeit im gewöhn-
lichen Sprachgebrauch nur die verhüllte Nothwendigkeit sei, so
mag das sein Wahres haben. Die Bedeutung der letzteren als
des Durch-Anderes-bestimmtwerdens hat die des ersteren insofern
in sich verhüllt, als der Gedanke der Wechselbeziehung und des
progressus in infinitum (vor dem Trendelenburg L 67 mit Spinoza
warnt) hinzutreten muss, um so Richtung und Umfang der ur-
«') Vgl. Erdmann, Grundr. d. Log. §.27 Anm.
48
— 49 —
sprünglichen Beziehung nicht sowohl zu verändern als zu erwei-
tern. Aber diese Erweiterung, dieser progressus in intinitum trägt
zum Verständniss des Begriffs Nothwendigkeit rein gar nichts bei,
im Gegentheil, er verdunkelt ihn, und in diesem Sinne ist die
enthüllte die erst recht verhüllte Nothwendigkeit. Und wie wird
nun die Identität dieser Wechselwirkung und der Freiheit als des
Sich-selbst-Bestimmens, des Nicht-gewirkt-Seins hergestellt? Die
Substanz stösst sich in unterschiedene selbständige ab ; da ja aber
diese wiederum Substanzen sind, so bleibt die Substanz in jener
Wechselwirkung zwischen ihr und den (von ihr abgestossenen)
s e 1 b ständigen •Substanzen bei sich selbst. Wo aber in aller
Welt bleibt dann eben jene Selbständigkeit der abgestossenen Sub-
stanzen? Wo bleibt mein eigenes Selbst, wenn meine Mutter,
oder wenn die Materie, die mich von sich abgestossen, in mir bei
sich selbst bleiben soll? Ist nicht der Begriff des Selbst der der
allerausschliessendsten Einzelheit? Man kann Trendelenburg nur
beistimmen, wenn er diese Identität für eine höchst formale Gleich-
stellung erklärt,*^*) für die abstrakteste Refleocion^ allenthalben
anwendbar, wo sich etwas reiß. In der That besitzt auch das ge-
knechtete Volk das, was die Dialektik an dieser Stelle Freiheit
nennt. Denn es ist ebenso Substanz als der Despot, der es
knechtet, und es giebt zu seinen Fesseln die Hände, zu seinen
Ruthenstreichen den Rücken her; aber wer möchte sagen, dass
Jener in solchem Wirken mit sich zusammengehe, wo ein Lud-
wig XVI. die Sünden seiner Väter trug? Und auch da war die
Wirkung der Despotie auf sich selbst eine sehr fakultative, denn
««) Erdmann, Grundr. d. Log., vertheidigt die Identität bei Gelegen-
heit des Etwas gegen den Vorwurf eines ihr zu Grunde liegenden Sophis-
mas. Dasselbe verschwinde, sobald mau bedenke, dass es sich um die
Gedankenbestimraung handle, nicht um einen bestimmten Gegenstand. Wo
in aller Welt wären dann aber zwei Gedankenbestimmungen, und wären es
die heterogensten, welche nicht von einem gewissen Gesichtspunkte aus
identisch wären. In der dünnen Lvfi der Abstraktion, sagt Haym (Hegel
U. s.Z. S. 116), wird alsdann die wahre Bestimmtheil des Begriffs unsichtbar
und im 'Moment seines \ erschicindens wird ihm ein anderer, zunächst ebenso
unbestimmter und unerkennbarer untergeschoben u. s. w.
//1
hat sie stets zu Revolutionen geführt? In Wahrheit sind Herr
und Knecht ganz heterogene Substanzen, wenn sie auch beide unter
den Begriff Substanz fallen. Begriffliche Einheit ist doch noch
lange nicht Identität. Mit Recht auch hat Trendelenburg gerügt,
dass jenes Mitsichzusammengehen und Beisichsein den Begriff der
bewussten That (nicht wirklich enthalte; sondern nur) entlocke,
verdecke und verstecke. Denn die bewusste That beruht nicht auf
der Wechselthätigkeit zwischen mir und dem Objekt meiner
Thätigkeit, sondern auf der zwischen meinem Wissen und mei-
nem Thun.
Trendelenburg prüft endlich noch die Identität an dem Ueber-
gang vom subjektiven Zweck zur Idee. Wir folgen ihm hier
nicht weiter, einmal weil vom Zweck noch besonders die Rede
sein wird, dann aber auch weil es überflüssig ist, die einmal auf-
gestellten Punkte an den einzelnen Schritten der Dialektik wieder-
holend durchzunehmen. Gewonnen ist auch hier der Einblick in
(Jen alten Mangel der dialektischen Methode, in die Verwendung
verschiedengearteter (d. h. nach verschiedenen Richtungen sich
äussernder) Beziehungen als gleichartiger (d. h. in derselben Rich-
tung sich bethätigender); '*^) mit Trendelenburg's Worten: Jene
Identität ist keine reale, nur eine logische der Refleocion, keine
prägnante, sondern eine matte und fla^lie, wie eine äusserliche
Vergleichung ; keine wirkliche, kann man hinzufügen, sondern eine
einseitige und gemachte.
Dialektische und genetische Entwickelung.
Wir übergehen die minder wichtigen, zum Theil schon be-
sprochenen Einwürfe Trendelenburg's gegen den progressus in in-
finitura, die Unmittelbarkeit und den immanenten Zusammenhang
und wenden uns einer Kernfrage zu: wie nämlich die dialekti-
sche und genetische Entwickelung der Sache sich zu einander ver-
halten.
•*) Log. Unt. II. S. 62: In einer anderen Beziehung ist etwas Zweck,
in einer anderen mehr Uittcl.
— 50 —
Dass sie nicht eins sind, findet Trendelenburg zuerst (Log.
Unt. I. 79) und definirt mit Recht nach Hegel die dialektische
Bewegung als die Entwickelung ^ ivelche darin bestehe, dass der
Gegenstand nothwendig die in ihm liegenden Bestimmungen^^)
heraussetzen müsse, Dass aber, wiederum nach Hegel, die soge-
nannte genetische Bety^achtung den Gegenstand tiiir darstellest
soll, wie er aus den veranlassenden Ursachen hervorgehe,
das reizt seinen Widerspruch zu Gunsten der offenbar herahge-
drückten genetischen Betrachtung. Vielmehr stehe diese mitten
in dem vollen Grunde der Sache und lasse die armseligen ver-
anlassenden Ursachen dahinter. Weiterhin (Log. Unt. L 81) wird
die dialektische mit der ewigen, die genetische mit der zeitlichen
Entwickelung gleichgesetzt, und hier ergiebt sich denn, dass Tren-
delenburg überhaupt nur von einer Entwickelung wissen will.
Denn soll das Eivige in dieser Verbindung das Nothwendige
bedeuten (und das soll es), so sei das Nothivendige nur dann
energisch und also nothivendig, wenn es das Zeitliche regiere iind
nicht dem Zufall überlasse. Sollte nun das Zeitliche anders
werden, so müsste für dies Verhältniss im Ewigen eine Bestim-
mung gefunden werden, das ivürde sagen: im Dialektischen eine
Bestimmung für das Genetische. Dieser Einwurf hat etwas
Blendendes, allein näher betrachtet, so ist auch hier die Bezie-
hung des Werdens widerrechtlich in die ewige JCntwickelung hinein-
getragen. Das Ewige kennt kein Werden, und wenn in dem Wort
Entwickelung seiner Abstammung nach die Beziehung des Wer-
dens schlummert, so ist höchstens das Wort unglücklich gewählt
oder die arme Sprache bietet kein erschöpfendes. ® ') Die ewige
Entwickelung ist nur insofern eine solche, als sie nur stufenweise
unserm endlichen Verständniss sich klar machen kann; an sich
ist sie die ewig feststehende Welt der ewigen Beziehungen und
Begriffe, von denen sich schlechterdings keiner in Wahrheit aus
••) Was in der Sache selbst liegt. Erdm., Gr. d. Log. §. 18.
^') Erdmann, Gr. d. Log. §. 17 Anm. 4 u. 5: Der Begriff der Ewig-
keit, den schon Spinoza richtig gefasst hat, hat mit der Zeit gar keine
Verwandtschaft. Achnlich spricht die Mathematik ton dem, was (nicht zeit-
lich genommen) aus dem Früheren folgt und meint dabei das ewige Folgen.
— 51 —
dem anderen entwickelt. Der ewige Ursprung des Staates ist
gar kein wirklicher Ursprung; er liegt in der sittlichen Natur des
Menschen, heisst nichts weiter als: er ist mit ihr zugleich; sie
stehen und fallen zusammen; die sittliche Natur ist nicht etwa
früher (was zum wahren Ursprung des Staates nothwendig wäre),
sondern sie ist zugleich mit dem Staate, sie ist selbst seine ewige
Existenz. Der zeitliche Staat, dieses sterbliche Ding, ist ein ebenso
begrenztes, schwankendes und problematisches als die sittliche
Natur der zeitlichen Menschen, unter denen sich die grössten
Bösewichter und die auch moralisch beschränktesten Völker finden.
Wäre die zeitliche Sittlichkeit der ewigen gleich, so gäbe es frei-
lich keine Räubereien, aus denen der zeitliche Staat entstehen
könnte, und er wäre dann zugleich mit der Menschheit vorhanden.
Dass er nicht vorhanden war, ja stellenweise noch ist, beweist,
dass er bedingender und veranlassender Ursachen bedarf; und
wenn er immer und überall aus derselben That des Sittlichen
entsprang, warum ist er so verschiedenartig ausgefallen und hat
sich in den äussersten Extremen der Freiheit und der Knecht-
schaft bewegt? Beweist aber dies Alles nichts, so verfolge man
eine Gedankenreihe, die Trendelenburg selbst anderwärts (L. Unt
n. 20) angesponnen hat. Da wird der Staatskörper seinen Glie-
dern entgegengesetzt; da heisst es ausdrücklich, dass das Ganze
früher sei als die Glieder;"^) dass diese nur im Gsinzen Bestand
und Leben haben. Wie denn aber? Kann der zeitliche Staat
früher sein als seine Glieder, die zeitlichen Menschen? Nimmer-
mehr; es kann also nur von dem ewigen Staat und seinen ewigen
Gliedern die Rede sein. Da hätten wir denn, uns ganz der con-
creten Betrachtungsweise Trendelenburg's anfügend, nichts Anderes,
als was Hegel behauptet: in der ewigen Entwickelung ist der
Staat, das Ganze, auch das prius, in der genetischen, zeitlichen
sind es die Einzelnen, die Glieder. In Wahrheit freilich ist das
ewige Ganze nicht früher, sondern zugleich mit seinen Theilen,
was die aristotelische Ausführung a. a. 0. nicht nur nicht umstösst,
sondern geradezu bestätigt. Aristoteles ist mit seinem früher hier
' 8) Speziell vom Staate sagt dies schon Aristoteles Polit. L 2.
— 52
— 53
ebenso einseitig als Roscellin. Und warum — dies fällt von Neuem
auf — warum ist das Beispiel Trendelenburg*s vom Staat das
einzige nicht aus der Mathematik entlehnte? Einfach, weil die
Mathematik in der Schwierigkeit eben der Entwicklung ihrer Be-
griffe die bequemste Brücke bot, ewige und zeitliche Entwickelung
zu confundiren. Wir haben gesehen, dass die sogenannte Ent-
stekumj z. B. der geometrischen Grössen gar keine wirkliche Ent-
stehung ist. In Wahrheit sind vielmehr diese Grössen da, ohne
sich von einander ableiten zu lassen. Das letztere, wahre Mo-
ment haben sie mit der dialektischen, das erstere hätten sie mit
der genetischen Entwickelung gemein. Aber diese Identität einer
Wahrheit und eines Wahnes beweist nichts für die beiden Ent-
wickelungsmethoden.
Es zerfiele mit dem Nachweis, dass die ewige Entwickelung
Entwickelung nur heisst, nicht ist. Alles, was Trendelenburg da-
gegen sagt, in Nichts, wenn man nicht einwenden könnte, dass
unter dialektischer Entwickelung ja auch eben jener allmähliche
Weg verstanden sein könne, auf dein die ewige Welt der Begriffe
dem sterblichen Geist sich verständlich macht ;'^«) allein auch
dieser Weg müsste nach Trendelenburg der genetischen Entwicke-
lung parallel gehen. Indess : er thut es nicht. Die Wirklichkeit
besteht durch ein untrennbares Ineinander der Substanzen, Acci-
dentien, Begriffe und Beziehungen, deren fortwährendes Trennen
und gewaltsames Auseinanderhalten das Denken ist;'") von den
sterblichen, fehlerhaften, unvollkommenen Dingen aus schwingt sich
das Denken zu dem ewigen Begriff auf, der sich in ihnen ent-
äussert hat, ihr Vater ist, als Urbild sie als seine Abbilder er-
zeugt. ^^) Der ewige Staat war früher als die endlichen, sie sind
nur seine theilweisen Verwirklichungen; aber welches Denken
wusste etwas vom Begriff des Staates, diesem ewigen Staate, ehe
Anschauung und Vorstellung mit seinen endlichen Schattenbildern
vertraut geworden waren? Trendelenburg verargt es der Dia-
"•) Ausgesprochen schlägt Trendelenburg's üntersuchuDg in diese
frage um Log. Unt. I. 88.
'•) Haym, Hegel u. s. Z. S. 314.
'*) Log. Unt. I. S. ^ Anui. 3.
^*
jektik (L 85), dass sie das Ethische vor dem Göttlichen d. h.
ohne dasselbe betrachte. Es ist der alte Vorwurf. ^^^ ^^^ Gött-
liche früher oder das Ethische? Oder sind beide zugleic^^*? Wenn
aber in der Endlichkeit das Göttliche früher als das Ethische
war, wo kam es her ? Doch aus der Offenbarung, ' ' ) cum grano
zu verstehen. Und an wen hat sich diese sfewandt? Doch nicht
an das Denken, sondern an den Glauben, d. h. an das Gefühl.
Im Gegentheil hat das Denken immer mit der Offenbarung im
Kriege gelegen. Aber wie kann das Denken zum Göttlichen ge-
langen? Einzig und allein mit Hülfe der Ethik. Wenn die Ge-
sinnung, so folgert das Denken, aus alledem nicht stammt, was
ich bis hierher, bis zum Bewusstsein von der Gesinnung, mir selbst
erschlossen habe, so muss Etwas sein, das aller Schlüsse spottet;
von dem ich nichts weiter schliessen kann, als dass es ist, und
dass meine Gesinnung von ihm herstammt. Dies nennen wir das
Göttliche. Die ganze Natur redet so deutlich nicht von ihm, als
der Fnnke davon in der eigenen Brust. Seiner ist auch das
Denken gewiss und nur vom Gewissen aus (in schönem Doppel-
sinn des Wortes) kann es einen Blick ins Ungewisse wagen. Denn
wenn, wie Trendelenburg (L 86) sagt, das Denken voraneilt und
in der Auffassunff Gottes seinen tiefsten und heiligsten Gegen-
stand hat^ so fragt man billig, wem es voraneilt? Sich selbst —
und wie will es in die tiefsten Tiefen dringen ohne durch das
Seichte zu gehen? Und ohne dem Glauben ins Handwerk zu
pfuschen ? Um im Handeln ganz zu sein und sein ganzes Wesen
abzudrücken, mag der Mensch immerhin dieses oder jenes nöthig
haben; aber hier ist nicht vom Handeln die Rede, sondern vom
Denken und vom Sein. Die Logik sucht keinen ethischen Kanon,
sondern Wahrheit und Erkenntniss.
Dass freilich HegeFs Entwickelung und Erklärung des Sitt-
lichen nicht genüge, darin wird man mit Trendelenburg ohne
Zögern übereinstimmen.^*) Aber welche Philosophie wird eine
A\
'^) Wie immer die Religionen entstanden sein mögen, der Glaube
der Völker bat sie stets auf Offenbarung zurückgeführt. Ein interessantes
Heispiel vgl. man b. Plato, Protag. S. 322 C.
") Denn wenn mein Denken das allein für mich Verpflichtende ist
— 54 —
- 55 —
genügende dafür finden? Auf keinem philosophischen Felde ist
der Streit der Meinungen so umfassend, so heiss und hoffnungs-
los.^*) Das Sittliche wird, inwiefern es ausschliesslich Sache des
Gefühls ist, dem Denken immer unübersteigliche Grenzen, ent-
gegenstellen. Nur zugleich mit dem Göttlichen ist es zu erken-
nen, und wird die Philosophie jemals in das Wesen des Göttlichen
einzudringen vermögen ?
Noch haben wir einen Einwurf abzufertigen, der allerorten
gegen die Hegeische Philosophie besonders betont wird, und der sich
gegen die Parallelisirung des dialektischen Ganges mit demjenigen
der Geschichte der Philosophie richtet. In der That ist diese
Parallelisirung leicht zu widerlegen; in der That ist sie von Hegel
behauptet, ja ihre Durchführung versucht worden. Aber was will
das weiter sagen ? Das Princip Hegel's, dass die ewige Entwicke-
lung einen anderen Gang gehe als die zeitliche, ist dadurch nicht
widerlegt, vielmehr bestätigt. In Wahrheit ist jener Parallelisi-
rungsversuch nicht sowohl eine Anwendung des Grundprincips als
vielmehr geradezu ein Abfall davon. ^^) Die Inconsequenz, an
einer Stelle Gleichmässigkeit nachweisen zu wollen, wo durchweg
Ungleichmässigkeit herrschen soll, war wohl als Inconsequenz zu
rügen, aber das Princip erschüttert sie nicht.
Es muss dabei verbleiben (und dies modificirt die Erörterun-
gen Log. Unt. I. 89 ff.), dass Trendelenburg nur Recht behält,
wenn die dialektische Entwickelung der Begriffe den Weg bezeich-
nen soll, den der menschliche Verstand durch die Welt der Begriffe
einzuschlagen hat; wenn Erkenntnisse a priori solche sein sollen,
die in unserem Verständniss der Erfahrung voraufgehen; hat aber
(Hegel, Phil. d. Rechts §. 136), so ist Sittlichkeit höchstens vom i^hilo-
sophen zu fordern und zu erwarten.
'*) Vgl. V. Kirchmann, Grundbegr. d. Rechts u. d. Moral. Phil. Bibl.
Bd. Xr. und das Princip des Sittlichen in Lindau's Gegenwart. Jahrj^. 1873
Nr. 32 ff. Ob
'») Die Methode ist offenbar sich seihst untreu gatorden, Ulrici, Prin-
cip u. s. w. S. 78. Ein Abfall, der freilich in der Quelle der Hegeischen
Philosophie aus Hegel's eignem Geiste seine Begründung hat nach Haym's
uborzeugeiideiu Nachweis, Hegel u. s. Z. S. 320 ff.
'^
Hegel, wie ich ihn verstehe, unter der Dialektik nur den Kreis
der Beziehungen und Begriffe verstanden, der in sich durch ein
ewiges und unabänderliches Verhältniss seiner Glieder zu einander
geschlossen ist, das Denken mag sich ihm nun nähern, von wo
aus es wolle; hat er mit Erkenntnissen a priori Erkenntnisse von
Begriffen bezeichnen wollen, die früher sind als wir sie Begreifen-
den ; ' ' ) ist die vermeintliche Bewegung in seiner Methode nur ein
durch unser beschränktes , von Begriff zu Begriff fortkletterndes
Verständniss hinzugebrachtes Aeusserliche , so fällt dieser Vor-
wurf Trendelenburg's wie die übrigen, jenen ausgenommen, der
die auf äusserliche und ungleichartige Beziehungen gegründeten
Consequenzen für nichtige erklärt.
Der Zweck.
Der Zweckbegriff darf die Spitze unserer Erörterungen bilden,
weil in ihm Trendelenburg und Hegel sich begegnen. Wir haben
gesehen, dass Hegel von den Kategorien nichts wissen will, auf
denen Trendelenburg\s ganzes Philosophiren beruht; umgekehrt er-
gab sich, dass Trendelenburg der Hegeischen Dialektik ihre
Hauptstützen so zu sagen unter den Händen wegzuziehen versucht
hat. Den Zweckbegriff dagegen erkennen beide als wirklich, we-
sentlich und wichtig, wie sehr auch immer Trendelenburg gegen
HegeFs Ableitung desselben polemisiren möge; denn es kommt
dabei auf die Strenge der Ableitung und nicht auf den Schein
des Ergebnisses an, des Ergebnisses, in dessen Statuirung sich
eben Hegel und Trendelenburg die Hand reichen.
Um jene Polemik kritisch zu betrachten, genügt es, die
Hauptpunkte aus Hegel's Ableitung des Zweckes herauszugreifen.
Blosse Ursache und Zweck stehen sich als Erzeugende gegenüber ;
dies macht sich zunächst im Chemismus geltend (L. U. H. 57),
wo sich Stoffe zu einer höheren Bildung verbinden. Die Frage
A
"*.
'«) Dann bezeichnet in der That der ganze Kreislauf der Dialektik
Erkenntnisse a priori (Log. ünt. l. 90) und da ist nichts Widersinniges.
Vgl. AI. Schmidt, Beleuchtung u. s. w. S. 114.
— 56 —
entsteht: ist der Begriff dieser höheren Bildung bei seiner Er-
zeugung mit thätig oder nicht? Jm ersten Falle würde der Che-
mismus schon ein teleologischer sein, und der Zweck müsste sich
schon im Uebergang vom Mechanismus zum Chemismus linden.
Im zweiten Falle ist gar kein Zweck ersichtlich, sondern der
neue Begriff ist aus der blossen, blinden, veranlassenden Ursache
hervorgegangen. Dass der Chemismus ein teleologischer sei, kann,
wie Trendelenburg bemerkt, He^/efs Ansieht nicht sein; auch ist
es sonst nicht Ansicht der Wissenschaft. Man muss ihm darin
beistimmen, aber es wird sich bald zeigen, dass Trendelenburg
damit seinem eigenen Zweckbegriff den Todesstoss versetzt. Denn
freilich: indem Prozesse in Produkte und Produkte in Prozesse
übergehen und so fort bis in's Unendliche, so mag man von
dieser l^eobachtung aus als einer Warte nach allen Seiten aus-
schauen: der Zweck kommt nicht zum Vorschein; denn dazu
müsste dargethan werden, dass ein Produkt in den Prozess um-
schlage, welchem es selbst sein Dasein verdankt; wenit^stens
müsstenund würden die logischen Untersuchungen sich hier-
mit begnügen. In der That läuft also der unendliche Prozess des
Chemismus haltlos fort. Aber wenn nun auch irgendwie das
Trendelenburgsche Postulat hineingebracht würde, wenn wirklich
ein Produkt sich fände, welches der Prozess seiner eigenen Er-
zeugung wäre, ist denn damit der Zweckbegriff erschöpft? Ist
er mit Trendelenburg's Erklärung erschöpft, dass er die Wirkung
als Ursache ihrer selbst sei? Das wird sich entscheiden, wenn
wir den vermeintlichen Unterschied zwischen innerem und äusserem
Zweck betrachten, den Trendeleoburg für das Zwischenglied der
Dialektik zwischen Chemismus und Organismus ausgiebt. Wie
soll sich, so fragt er (L. U. IT. 59), aus der Negation des Che-
mismus der äusserliche, d. h. der menschliche Zkveck hervor-
hilden? Die Frage ist überflüssig; sie hat nur den Werth, das
Heterogene der allgemeinen physikalischen Erscheinungen mit dem
Zweckbegriff für die unmittelbare Auffassung in seiner schärfsten
Steigerung zu zeigen; wenn dann zum äusseren Zweck fortge-
schritten wird, so wird sich bald ergeben, dass eine solche Spal-
tung des Zweckbegriffes eine rein willkürliche ist. Zwar: dieser
■^
— 57 —
sogenannte äussere Zweck schwebt allerdings bei Hegel ebenso-
sehr in der Luft als der innere, die Idee. Jener, weil in der
That der Begriff einmal subjektiv, als Denkform im Denken nur
des Individuums, dann aber als der objektive unendliche, über
den Individuen, dem Denkenden ebenso hoch als über der Sache,
dem Angeschauten und Vorgestellten, schwebende gedacht wird.
Wenn wir auch dem letzteren unbedingte Macht über die ihm
gegenüber selbstlosen Objekte mit Hegel zugestehen wollten, so
folgt nicht dasselbe für den subjektiven, obwohl es immer noch
consequenter erscheint, wenn ein endlicher Begriff zu endlichen
Objekten in Beziehung tritt, aus denen er notorisch geflossen ist,
als der unendliche, von dem wir nur gleichsam schliessend ahnen,
dass er an der Entstehung der Objekte betheiligt sei. In jedem
Falle ist hier in Hegel's Gedankenfortschritt eine Lücke, die
Trendelenburg mit Recht rügt.
Und nun die Idee, der innere, den Erscheinungen immanente
Zweck? Sie fusst auf dem Begriff, und es ist bereits dargethan,
auf wie schwachen Füssen dieser steht. Er soll das Beisichbleiben
der Substanzen im Uebergehen in andere und in der Wechsel-
wirkung mit anderen Substanzen sein. Wir wissen schon, dass
dieses Beisichbleiben ein Wahn ist, ein ganz erfundenes und ge-
machtes Wiederfinden des Begriffes in der Sache, welches für die
Erkenntniss nicht nur unfruchtbar, sondern überhaupt gar nicht
einmal nöthig ist. Denn dass der Begriff sich selbst in der Sache
wiederfinde, ist blos eine eigenthümliche Wendung unserer Sprache,
aber gar kein logisches Postulat. Sein Sein in den Dingen ist
sein ganzes erschöpftes Sein, ohne Dinge ist er nicht, und ewig
kann er nur genannt werden, insofern man ein ewiges Vorhanden-
sein von Dingen annimmt. Vielmehr beruht sein Wesen darin,
dass wir (die wir ja auch als Gattung ewig sind) ihn in den
Dingen wiederfinden. Indessen sei dem, wie ihm wolle; allewege
ist unerfindlich , wie jene vage Verdünnung des Begriffes in eine
leere Beziehung zu der Macht über den Inhalt des Daseins ge-
lange, die der Zweckbegriff ipvolvirt. Denn wenn wir nicht Zweck
und Begriff (wie Hegel ja auch nicht will) vollständig identificiren,
so mag .der Begriff Baum sich herleiten, woher er wolle, er wird
— 58 —
nimmer aus sich selbst zu einem wirklichen Baum sich realisiren
können; und könnte er es auch, so ist selbst damit nicht er-
wiesen, dass der Baum mittels des Zweckes, nicht blos der wir-
kenden Ursache erwachsen sei. Denn der Begriff als Denkform
ist dem Zweck als einer Denkthätigkeit (siehe unten) ebenso
heterogen als etwa das plus und minus dem thätigen Rechnen.
Schliesslich vollendet sich der Zweck bei Hegel zur Idee, d. h.
zum Selbstzweck, indem der erreichte Zweck wiederum Mittel
wird. Das Leere dieser Ableitung ist schon zur Sprache gekommen:
in einer anderen Beziehincf Ist etwas Mittel, in einer anderen
Zweck, Selbstzweck aber bedeutet Zweck, der sein eigenes Mittel,
und Mittel, das sein eigener Zweck ist. Hiervon hat Hegel nichts
erwiesen, und seine Idee ist nicht Idee in dem versprochenen
Sinne.
Allein, wie schon angedeutet, Trendelenburg's eigener Zweck-
begriff ist keineswegs unanfechtbar. Denn der Zweck ist, wie
schon Spinoza behauptet'') und Kant erwiesen hatte, mehr als
blos die Wirkung als Ursache ihrer selbst; und es lässt sich
zeigen, dass die Trennung eines äusseren und inneren Zweckes
nicht zu Recht besteht, und dass auch Trendelenburg's Zweck-
begriff nicht mit der Macht ausgestattet ist, die er am Hegeischen
vermisst, mit der Macht über den realen Inhalt des Daseins.
Die Wirkung als Ursache ihrer selbst ist nämlich deshalb
noch nicht Zweck, weil sie noch nicht das bewusste Wirken in-
volvirt. Die blosse Ursache, und wenn sie tausendmal sich selber
wirkt, hört darum doch nicht auf, blosse Ursache sein; erst wenn
sie mit Bewusstsein vom Resultate ihrer Wirkung wirkt, wird sie
zum Zwecke. Darum ist der Zweck an das Wissen und Denken
und mit diesem an das wissende und denkende Individuum ge-
") Spinoza, Eth. Pars I. App. (I. S. 219 ed. Bruder). Ich sage: be-
hauptet, weil Spinoza seinen Beweis auf die so luanuichfach angefochtenen
Grundsätze seines Systems zurückführt (vgl. z. B. haec docirina Dei per-
fecUonem Ivliil; nam si Dens prupter ßuem agit, nliquid necessnrio appelil
quo caret); während Kant nur an den allgemeinen Menschenverstand
appellirt.
A^:*
/,i
— 59 —
bunden. '®) Ein frei für sich seiender Zweck ist ebensosehr
ein Widersinn als ein frei für sich seiender Gedanke, von dem
Trendelenburg L. U. II. 58 spricht. Ein Gedanke hat nur Re-
alität, soweit er gedacht wird, ein Zweck , nur soweit bezweckt,
d. h. denkend gewirkt wird. Der Zweck ist unablöslich an die
Erfahrung gekettet. ^^) Ich verfolge einen Zweck mit diesen oder
jenen Mitteln nur, weil und wenn mich die Erfahrung belehrt hat,
dass diese Mittel als Ursachen diesen Zweck als Wirkung schon
früher hervorgebracht haben. Verfehlte Zwecke lassen immer
mit Sicherheit auf einen Mangel in der Erfahrung schliessen;
ihre Grenzen sind gemeinschaftlich. Aber nach Hegel und Tren-
delenburg kann es gar keine verfehlten Zwecke geben, weil sie
von einer solchen Beschränkung der Macht des Zweckes nichts
wissen wollen. Der Zweck ist also in der That, wie Kant sagt,
von uns entlehnt, eine subjektive Denkform, die wir erst in die
Welt der Erscheinungen hineintragen. ® °) Damit erschliesst sich
auch die Willkürlichkeit der Scheidung des Zweckes in einen
inneren und äusseren. Aus unserer Erfahrung haben wir den
Zweckbegriff entlehnt und tragen ihn nun als inneren in die
Schöpfung hinein, ohne zu bedenken, dass er dort gar keine Er-
fahrung zum Grunde haben kann, man mag sie vom pantheistischen
oder monotheistischen Standpunkte aus betrachten. Das Auge
erscheint uns, wie Trendelenburg Log. Unt. II. 2 ff. so schön
ausführt, als das par excellence zweckmässige Organ; aber warum?
"">) Der Ztceck urs/irünglich Gedanke. Ulrici , Syst. d. Lüg. S. 409.
Warum ursprünglich? Nicht schlechthin? (S. 406 ff.) — Das Denken kommt
lum Vorschein, der alte Meister, dem am Ende, damit er die Beiregmig
regiere, mit dem Begriffe des Zweckes die Zügel anvertraut werden. Fischer,
Syst. d. Log. §. 66, 6. Kant, Kritik der Urtheilskraft S. 62 (d. Kirchm.
Ausg.) verlangt den Begriff eines Willens und behandelt (^S. 265) die
Epitheta nach Zwecken handelnd und verständig als gleichbedeutend.
'•) Hegel, Encykl. §. 21 Zus.: dabei (bei den Zwecken) denken icir
darüber nach, wodurch wir dieselben erreichen können . Der Z,weck ist hier
das Allgemeine, das Regierende, und wir haben Mittel und }yei'kzeuge, deren
Thäligkeit wir nach dem Zwecke bestimmen. Vgl. Hobbes, on human
nature cap. 4.
«") Kritik d. Urtheilskraft S. 21, 32 u. sonst.
— 60 —
Bios weil wir kein besseres, zweckmässigeres kennen. Ist damit
gesagt, dass es nicht in Wirklichkeit noch zweckmässiger sein
könnte? Kant drückt dies so aus: wie wir die Möglichkeit einer
solchen Causalitüt der Natur nach ZivecJcen f/ar nicht a priori
einsehen können, so können wir eigentlich auch nicht die Zwecke
in der Natur als absichtliche beobachten. ^ * ) Denn es fehlt der
denkende Geist, der dort bezweckte oder beabsichtigte. Wer
wollte denn eine gewusste Wirkung hervorbringen, als das Auge
erzeugt wurde? Man sage nicht: Gott. Denn dann sind wir auf
dem längst als unhaltbar erkannten Standpunkt des teleologischen
Beweises für das Dasein Gottes angelangt. (Auch schlagen hier
für den so Antwortenden die Gegengründe Spinoza's ein.) Die
Philosophie weiss zunächst nichts von Gott, und mag der Glaube
über solche Gottlosigkeit zetern, so darf und muss sich die Philo-
sophie darüber hinwegsetzen. Thatsache sind gewisse Beziehungen
in der Natur, Wirkungen aus gleichen Ursachen, die zu gleichen
Wirkungen dienen ; es wiederholt sich wie in unserer beschränkten
Erfahrungswelt. Aber wenn wir hier diese Erscheinung als Zweck
bezeichnen dürfen, ist es mehr als eine blosse Analogie, wie
Kant sagt, sie auch dort als solchen zu betrachten? Und woher
nimmt denn nun der Zweck seine Macht? Wie ist er im Stande
eine Wirkung zu erzeugen, die er als gewirkt vorher anschaute?
Einfach: seine Macht ruht lediglich in seinem Wissen; sie ist
also gar keine Macht. Die Verbindung der wirkenden Ursachen und
Mittel ist Sache anderer Kräfte, sein Zuthun besteht nur in dem
Wissen, dass diese Mittel und keine anderen zu dieser Wirkung
beitragen. In Wahrheit sind nicht die Mittel dem Zweck unter-
than, sondern umgekehrt: der energische Zweck ist machtlos,*
wenn ihm die Mittel fehlen. Darum bleiben so viele Zwecke so
**) So citirt Trendelen bürg. Ich habe nur eine ähnlich lautende
Stelle auffinden können: Krit. d. Urth. S. 278. Sie lautet: denn da trir die
/jicccke in der Malur als ahsiciäluhe nicht eigentlich beobachten, sondern
nur in der Ruflexion über ihre Produkte diesen Begriff als einen Leitfaden der
Urlheifskrafl hinzu denken, so sind sie tins nicht durch das Objekt gegeben.
A priori ist es sogar für uns unmöglich, einen solchen Begriff, seiner ob-
jektiven Healilät nach, als annehmung s fähig zu rechtfertigen u. s. w.
— 61 —
weit hinter ihrer völligen Verwirklichung zurück, obgleich sie im
Vollbesitz jener abstrakten, nur scheinbaren Macht, des Wissens
um die nothwendigen Mittel, waren; sie bleiben zurück, weil die
Mittel rebellirten, und gegen diese Auflehnung die sogenannte
Macht des Zweckes völlig machtlos ist. Und dies richtet sich
noch mehr gegen den inneren Zweck; dort auch begegnet einer
hemmend und aufhebend dem anderen, und wenn dies geschieht,
ist es auch Zweck? Oder ist die Schwäche der Endlichkeit an
diesem Punkte — wer kann sagen, wie? — in's Gebiet des
Ewigen übertragen? Unlösbare Widersprüche!
Freilich: das Gefühl sagt sich schwer von manchem Ideale
los, welches der Gedanke vernichtet. Herz und Verstand liegen
in ewigem Streite, aber im Reiche der Logik führt der Gedanke
das Wort. Was vor seinem Richterstuhle nicht Stich hält —
mag es die Menschheit trösten und erfreuen — Erkenntnisswerth
und logische Wahrheit hat es nicht.
*
Wenn wir zurückblickend uns der Ergebnisse unserer Er-
örterung erinnern, so schliessen wir uns an Trendelenburg überall
da an, wo er die dreifache Achillesferse der Dialektik angreift:
die in's Unmögliche fortgesetzte Abstraktion, die Verwechselung
zwischen Beziehung auf dasselbe und Beziehung auf Anderes und
die Confusion von Beziehungen und Begriffen als Solchen, die sich
unter und aus einander sollen entwickeln können.
Aber Avir müssen es abwehren, wenn Anschauung und Be-
wegung als heimlich eingeschmuggelte Krücken der dialektischen
Methode sollen nachgewiesen werden; wenn behauptet wird, dass
mit ihnen die Dialektik nun ihrer Absicht genugthun könne, ja
dass überhaupt die Einheit des Seins und Denkens durch die
logischen Untersuchungen erwiesen sei.
(Diese Untersuchungen, indem sie häufig von Meistern ab-
weichen, indem sie Alles zu prüfen und das Beste zu behalten
suchen, sind sich selbst die Erklärung schuldig, dass sie für
— 62
weiter nichts gelten wollen, als für eine eigene Ueberzeugung und
ein Resultat eigenen Nachdenkens. Dieses Resultat kann nur
den Krtäften angemessen sein; es muss sich trösten in dem Be-
wusstsein, dass eigene Ueberzeugung, und. wäre sie noch so irrig,
mehr werth ist als hundert nachgeschwatzte unumstössliche Wahr-
heiten. Das Geschäft der Philosophie der nächsten Zukunft wird
voraussichtlich darin bestehen, das Ueberkommene zu verarbeiten,
zu sichten und Vieles, Vieles wegzuwerfen. Man meint oft bei*m
Studium der neueren Philosophie, Kant's Kritiken seien gar nicht
geschrieben worden, so sehr ist über sie hinaus-, aber damit auch
wieder hinter sie zurückgegangen worden.
In jedem Falle: auch der Weiseste kann irren; auch die
Weisesten haben geirrt. Und man kann mit einem Weisen, einem
Lehrer verschiedener Ansicht sein, und doch erkennen (d. h.
dankend verstehen), was man seiner Lehre — in doppeltem Sinne
— schuldig ist.)
Ifer Verfasser ist geboren zu Neisse am 18. October 1845 als einziger
Sohn eines Kreisgerichtsraths , protestantischen Glaubens, besuchte die
Elementarschule seiner Vaterstadt, die gelehrten Anstalten zu Krotoschin,
Schroda, Schulpforte und Breslau (Magdalenaeum), die Universitäten Breslau,
Berlin und Halle, mit mehrfachen Unterbrechungen durch Militärdienst
und vierjährige Thätigkeit als Hauslehrer, absei virte das Examen pro fac.
doc. im November 1873, das philos. Rigorosum im Juli d. J. und übernahm
am 1. October d. J. provisorisch eine Lehrerstelle am Königl. Gymnasium
zu Lissa.
Für geistige, gesellschaftliche und materielle Förderung sei hier öffent-
lich der innigste Dank ausgesprochen den Herren Geh. Reg.-Rath Dr.
Schneider in Berlin, Geh. Sanitätsrath Dr. Laehr in Zehlendorf, Pro-
fessor Dr. Hermes in Steglitz, Director Prof. Ziegler in Lissa, Director
Dr. Volk mann in Elberfeld, Dr. Schottmüller in Zehlendorf, sowie
den Herren Professoren Rossbach, Hertz, Braniss, Bernays in
Breslau, Curtius, Droysen, Harms, llübner in Berlin, v. Holtzen-
dorff in Heidelberg, Erdmann, Ulrici, Dümmler, Keil in Halle.
Den zu früh Vollendeten: Professoren K ober stein, Haase, Haupt,
Trendelenburg, Steinhardt, Director Dr. Schönborn, Justizrath
G. A. Scholtz ein dankbares und wehmüthiges „havete, care anbnae!"
*) An Stelle des leider verhinderten Herrn Dr. Braxator ist Herr
Cand. jiir. Hugo Laehr aus Berlin gütigst als Oi>|)onent eingetreten.
i
L
THESEN.*)
I.
Selbstliebe ist der einzi^re ursprüngliclie Griindtrieb des
Menschen. (Erster Deputirsatz des Joseph Wiehri 1780. —
Vgl. Michl, Kirchengesch. Bd. IL Ad §. 99 b.)
II.
Die s'jocc.j^v'.'ct kann nicht das Fundament der Ethik bilden.
in.
Mit Unrecht wird in des Horatius XIV. Ode des I. Buchs
nach dem Vorgange des Quintilian unter dem Bilde des Schiffes
der römische Staat verstanden.
IV.
Gegen die allgemeine Annahme ist mit Peter (Tabellen zur
Griech. Gesch., 2. Aufl. S. 132) die Schlacht bei Ipsus in's Jahr
300 V. Chr. zu setzen.
t
>»
/
COLUMBIA UNIVERSi; Y
0032141971
/ I
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